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Coronavirus: Europäische Studie zur Übersterblichkeit zeigt rasanten Anstieg - ein Land besonders betroffen

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Von: Marcus Giebel

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Wie tödlich ist das Coronavirus wirklich? Diese Frage beschäftigt Experten weltweit. Eine Studie gibt nun einen Einblick in die Entwicklung der Todeszahlen durch die Pandemie.

München - Unsere Zeit auf diesem Planeten ist endlich. Der Tod am Ende des Lebens die einzig wirkliche Gewissheit - wenn diese auch noch so schrecklich ist. In der Corona-Krise* wird uns das nur umso mehr vor Augen geführt. Denn täglich werden wir konfrontiert mit neuen traurigen Meldungen über Opferzahlen der weltweiten Pandemie. Doch wie sehr schlägt sich das grassierende Virus überhaupt nieder auf die Zahl der Toten, die die Welt auch ohne Sars-CoV-2 Tag für Tag zu betrauern hat?

Corona-Krise: Studie zur Übersterblichkeit mit 24 Ländern

Diese Frage lässt sich anhand einer seit 2015 laufenden Studie des in Dänemark ansässigen Datennetzwerks EuroMOMO beantworten. Die Abkürzung steht für European Mortality Monitoring Project. Die Forscher haben es sich also zum Ziel gesetzt, die Sterblichkeit in Europa zu überwachen. 24 Länder sind Teil dieses Projekts, wobei es sich genauer gesagt um 22 Nationen und die beiden deutschen Bundesländer Berlin und Hessen handelt.

Für alle anderen Regionen Deutschlands sind entsprechend keine Zahlen erhoben worden. Dagegen sind neben den britischen Ländern England, Nordirland, Schottland und Wales auch Belgien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, die Schweiz, Spanien und Ungarn dabei.

Corona-Krise: „Übermäßige Anzahl von Todesfällen“ soll gemessen werden

Laut EuroMOMO ist das Ziel der Studie, „ein routinemäßiges System zur Überwachung der Sterblichkeit im Bereich der öffentlichen Gesundheit zu entwickeln“. Mit diesem soll „in Echtzeit eine übermäßige Anzahl von Todesfällen im Zusammenhang mit Influenza und anderen möglichen Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit in den teilnehmenden europäischen Ländern erfasst und gemessen werden“.

Schon auf den ersten Blick lässt sich erkennen, dass die Zahl der Todesfälle jeweils in den Monaten um den Jahreswechsel - also im Winter - deutlich höher ausfällt als zu anderen Zeiten. Worauf dieser Umstand zurückzuführen ist, wird nicht erklärt. Denn zwischen Todesarten wird hier kein Unterschied gemacht. Allerdings besteht im Winter natürlich eine größere Gefahr der Grippeerkrankung wie auch von Verkehrsunfällen.

Corona-Krise: Woche 14 mit meisten Todesfällen seit Ausbruch des Virus

Den bislang absoluten Höhepunkt von Todesfällen vor der Corona-Pandemie stellte die zweite Kalenderwoche im Jahr 2017 dar: Damals wurden insgesamt 70.665 Verstorbene registriert. Diese Zahl wurde seit Ausbruch des neuen Virus bereits dreimal überschritten: in Woche 13 mit 75.292, in Woche 14 mit 86.380 und in Woche 15 mit 82.820. Bereits in Woche 12 mit 63.033 Toten war der sogenannte Normalbereich deutlich überschritten worden.

EuroMOMO unterscheidet in vier Alterskategorien. Bei den Null- bis Vierjährigen sowie den Fünf- bis 14-Jährigen blieb der Wert der Todesfälle auch in Corona-Zeiten im Normalbereich, zuletzt sogar unter der Grundlinie der durchschnittlichen Zahlen. Anders sieht das bei den 15- bis 64-Jährigen aus, wo ab Woche 12 ein deutlicher Ausschlag nach oben festzustellen ist. Trauriger Höchstwert seit Studienbeginn waren 9917 Tote in Woche 14 - für diesen Zeitraum wurde als „Normalwert“ 7832 angeben.

Noch deutlicher fiel der Anstieg bei den Über-64-Jährigen aus. Auch hier sticht Woche 14 heraus, mit 76.382 Todesfällen. „Normal“ wären 47.212 gewesen. Ein immenser Unterschied von beinahe 30.000 Menschenleben. Während sich die 15- bis 64-Jährigen in Woche 16 zumindest wieder dem Bereich der so genannten „erheblichen Steigerung“ annähern, ist die vierte Altersgruppe davon weiterhin weit entfernt. Zuletzt wurden 60.326 Todesfälle binnen sieben Tagen registriert.

Besondere Vorsicht zum eigenen Schutz: Wer mit Corona-Opfern zu tun hat, sollte dringend Vorkehrungen treffen.
Besondere Vorsicht zum eigenen Schutz: Wer mit Corona-Opfern zu tun hat, sollte dringend Vorkehrungen treffen. © dpa / Aaron Chown

Corona-Krise: Übersterblichkeit beträgt nach 16 Wochen schon 140.750

Wie sehr sich die Corona-Pandemie auf die Todeszahlen auswirkt, lässt auch die so genannte Übersterblichkeit erahnen. Dabei geht es darum, wie viel höher die Zahl der tatsächlich Verstorbenen im Vergleich zum erwarteten Niveau ausfällt. Schon nach den ersten 16 Wochen des Jahres 2020 beträgt die Übersterblichkeit 140.750 - so hoch war der Wert noch nie seit Beginn der Studie. 2018 wurde mit einer Übersterblichkeit von 121.009 abgeschlossen, das vergangene Jahr mit einem Wert von 81.008.

Dabei begann die Kurve in diesem Jahr sehr flach und verlief zwei Monate unter denen der beiden vorangegangenen Jahre. Der extrem steile Aufstieg begann in Woche 12, eine Woche später wurde die 2019er Kurve gekreuzt, in Woche 15 auch die 2018er.

Besonders interessant hier: Der Wert für die Altersgruppen von null bis vier und von fünf bis 14 ist negativ - es sterben also weniger junge Menschen als erwartet - und zudem niedriger als in den vergangenen beiden Jahren. Ganz anders sieht es wieder bei den beiden gehobeneren Altersgruppen aus. Auch hier war der Jahresstart erfreulicher als 2018 und 2019, doch in Woche 15 schoss die Kurve jeweils an die Spitze. Bei den 15- bis 64-Jährigen beträgt die Übersterblichkeit nach 16 Wochen 11.324 und liegt damit nicht mehr weit vom Jahresendwert 2018 (12.698) entfernt. Die Übersterblichkeit bei den Über-64-Jährigen wird bereits auf 128.230 beziffert - der höchste je gemessene Wert.

Corona-Krise: Acht Länder haben „extrem hohes Übermaß“ an Todesopfern

Der Blick auf die einzelnen Länder zeigt, dass es bei der Abweichung vom Standardwert deutliche Unterschiede gibt. Während etwa in Berlin und Hessen kein ungewöhnlicher Anstieg auszumachen ist und beide Bundesländer den höchsten Wert im Verlauf der Studie in Woche 10 im Jahr 2018 aufwiesen, schlägt bei acht Ländern der so genannte Z-Wert, der die Differenz zum Mittelwert angibt, deutlich nach oben aus. Diesen Nationen wurde während der Corona-Krise bereits ein „extrem hohes Übermaß“ attestiert, was bei einem Z-Wert von mehr als 15 der Fall ist.

Wales (15,03) und Schottland (16,93) übertrafen diesen in Woche 15 nur recht knapp. Deutlicher darüber waren Frankreich (21,44 in Woche 14), Italien (22,34 in Woche 14), die Niederlande (24,29 in Woche 14 und 22,22 in Woche 15), Belgien (26,16 in Woche 14 und 27,26 in Woche 15) sowie Spanien (31,13 in Woche 13 und 34,27 in Woche 14) - alle genannten Länder weisen seit diesen Werten aber eine positive Tendenz auf.

Corona-Krise: Z-Wert für Differenz zum Mittelwert steigt in England immer weiter an

Besorgniserregend ist die Abweichung besonders in England, wo keine Rückkehr zur Normalität festzustellen ist. Der Z-Wert steigt vielmehr immer weiter an: von 35,19 in Woche 14 über 44,28 in Woche 15 bis hin zum traurigen Spitzenwert von 48,78 in der zuletzt gemessenen Woche 16.

Deutlich erfreulicher ist die Entwicklung in Österreich, das ja mit seinen raschen und restriktiven Maßnahmen in der Corona-Krise erstaunte und sich seither als Vorbild betiteln darf. Hier wird der Z-Wert für Woche 16 mit -10,95 angegeben. Eine solche Abweichung nach unten verzeichnete noch kein anderes Land im Rahmen der Studie.

Es ist also ein deutlicher Anstieg der Todeszahlen in den vergangenen Wochen in Europa festzustellen - eben seit das Virus auf dem Kontinent wütet. Signifikant ist die Zunahme jedoch nur bei Jugendlichen und Erwachsenen. Und dabei speziell bei Senioren, die ja bereits zur Risikogruppe* gezählt werden.

Besonders betroffen ist der Westen Europas, darunter auch Großbritannien. Als Problemkind kristallisiert sich England heraus, das sich in einem heftigen Negativstrudel zu befinden scheint. Die Entwicklung in anderen ähnlich stark leidenden Nationen sollte den Engländern jedoch Mut machen.

Wir informieren Sie in unseren Artikeln auch über die Ansteckungsgefahr* durch das Virus, die Symptome* einer Erkrankung, mögliche Schutzmaßnahmen* und zu befürchtende Spätfolgen* bei Infizierten.

In Deutschland herrscht Maskenpflicht in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln - allerdings werden 30 Millionen bestellte Masken als „Schrott“ eingestuft. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gibt derweil einen Einblick in den Fahrplan für die Wirtschaft und den Bußgeldkatalog bei Verstößen gegen die Mundschutz-Verordnung.

Eine neue Beobachtung irritiert Mediziner unterdessen: Viele Patienten leiden häufig unter Blutgerinnseln - die genauen Zusammenhänge sind noch nicht geklärt.

*merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

mg

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