Uelzen/Landkreis – In dem Beitrag von „Spiegel TV“ wird der Landkreis Uelzen am Beispiel mehrerer mit Namen, Fotos und Stammbäumen dargestellter Familien aus der Einheitsgemeinde Bienenbüttel als Hochburg „deutscher Mitbürger mit Nazi-Hintergrund – verdächtig nah dran an Hitlers Rassenlehre“ dargestellt.
Konkret werden aber auch der Sportverein TSV Bienenbüttel und Ortsfeuerwehren genannt, in denen bekannte Gesichter der völkischen Bewegung aktiv seien – als Leiter der Leichtathletik-Abteilung oder Feuerwehrmänner.
Außerdem werden Landrat Dr. Heiko Blume und Bienenbüttels Bürgermeister Dr. Merlin Franke kritisiert, weil sie für Interviews nicht zur Verfügung gestanden hätten. Blume habe „über mehrere Wochen hinweg keinen Termin freiräumen“ können. Franke sei „wochenlang für uns nicht erreichbar“ gewesen, heißt es in dem TV-Beitrag. „Und was macht die Politik dagegen?“, wird gefragt. Blume wie Franke weisen die Vorwürfe zurück, weil sich Kreis wie Gemeinde sehr wohl geäußert hätten.
Seit der Ausstrahlung häufen sich in der AZ-Redaktion auch E-Mails und Anrufe zum Themenkomplex „Völkische Siedler“. Informanten, die ihre Namen nicht in der Zeitung lesen möchten, nennen weitere Vereine im Landkreis, die Mitglieder mit bekannt nationalistischem Gedankengut wissentlich seit Jahren akzeptierten. Sie nennen sogar konkrete Namen.
Die SPD-Kreistagsfraktion verfasste eine Stellungnahme zu den Spiegel-TV-Recherchen. Es folgte eine Stellungnahme der Unabhängigen Wählergemeinschaft (KA) Bienenbüttel. Beide haben Resolutionen verfasst und deren Abstimmung beantragt.
Parallel dazu hat die AZ in den letzten Tagen neben Blume und Franke auch den TSV Bienenbüttel sowie Bienenbüttels Gemeindebrandmeister um Statements gebeten. Sie alle haben sich geäußert. Beim TSV Bienenbüttel gab es gar eine Sondersitzung des Vorstandes – unmittelbare Konsequenzen zieht der Verein aber ebenso wenig wie die Feuerwehren.
Landrat Dr. Heiko Blume bestätigt, dass er dem Magazin Spiegel TV kein Interview habe geben wollen. Es sei der Redaktion aber bekannt gewesen, dass „die Politik schon seit Längerem etwas bei diesem Thema tut – und das durchaus vielfältig. Unsere Pressestelle hatte den Autor des Beitrags entsprechend informiert.“ Das sei ein wichtiges Thema, das viele Menschen im Landkreis Uelzen zurecht bewegt.
Er frage sich persönlich immer wieder, „was Menschen dazu verführt, völkisch-rassischen Anschauungen nachzuhängen. Diese Weltanschauung ist nicht akzeptabel“, so Blume. Sie vertrage sich nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. „Gegen solche Anschauungen anzugehen, ist eine Marathonaufgabe. Am Ende sind es wir alle, die ganze Zivilgesellschaft, die hier gefordert ist, gegenüber allen Verfassungsfeinden aufmerksam zu sein und zu widersprechen. Wir müssen unsere Aktivitäten koordinieren und an einem Strang ziehen. Erst kürzlich habe ich mit Polizeipräsident Thomas Ring telefoniert. Polizei wie auch Verfassungsschutz stehen für eine öffentliche Informationsveranstaltung zur Verfügung, die wir derzeit planen“, so Blume.
Abgrenzung und Druck allein seien aber nur ein Teil der Antwort. „Es gibt ja durchaus Kontakte zu diesen Kreisen in den Vereinen, der Feuerwehr und den Dörfern. Diese Kontakte sind mühsam und oft erschütternd. Und doch möchte ich diese Menschen nicht aufgeben, sondern versuchen, sie für die Freiheit und Toleranz, die dieses Land auszeichnen, zu begeistern. Ich weiß nicht, ob das gelingen kann. Aber: ,Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.‘ Dafür lohnt es sich zu kämpfen.“
Bienenbüttels Bürgermeister Dr. Merlin Franke sagt: „Die Berichterstattung ist in Bezug auf eine Reaktion der Gemeinde Bienenbüttel nicht vollständig wiedergegeben. Eine erste schriftliche Anfrage von Spiegel TV haben wir zeitnah und abschließend beantwortet.“ Diese habe sich auf eine Wolfsangel im Gebälk eines Hauses bezogen. Auf eine Folge-Anfrage habe man nicht mehr reagiert, weil Fragen gestellt worden seien, die zu einer Beteiligung an Spekulationen geführt hätten. Kritisiert wird, dass Mitarbeiter der Verwaltung mit Kamera und Mikrofon vor dem Rathaus abgepasst worden seien.
Die im TV-Beitrag genannten Familien lebten seit Generationen in der Einheitsgemeinde. Zuzüge völkischer Siedler, „geschweige denn eine ,Invasion‘“, seien nicht bekannt. „Die Gemeindeverwaltung steht zudem im Austausch mit der Polizei. Und Stand jetzt sind keine politischen Straftaten von und durch den genannten Personenkreis bekannt.“ Franke: „Ich möchte derartige Gesinnungen keineswegs verharmlosen und finde es grundsätzlich gut, dass darüber berichtet wird. Aber ich bitte darum, dies auf einer sachlich-objektiven Ebene zu tun und nicht eine ganze Gemeinde zu verunglimpfen.“
Die vollständige Stellungnahme der Gemeinde, die die AZ zunächst als Antwort auf ihre Anfrage zugeschickt bekommen hatte, steht auch auf der Homepage der Gemeinde. Außerdem hat Franke diese auf Facebook gepostet
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Andreas Howe, den 1. Vorsitzenden des TSV Bienenbüttel, und seine Vorstandskollegen haben nach der Ausstrahlung viele Fragen und Nachrichten erreicht. Howe selbst hat lange, wie er im AZ-Gespräch sagt, mit dem offen im Beitrag beschuldigten Mitglied gesprochen. Die Angelegenheit sei für den Mann und seine Familie – nicht zuletzt wegen vieler Kommentare in sozialen Netzwerken – belastend. Man sehe sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Der Verein hat darauf reagiert und zumindest den Namen von der Internetseite entfernt – „temporär“, wie Andreas Howe sagt.
Der TV-Beitrag enthalte viele Falschbehauptungen, habe der Betroffene ihm gesagt, so der TSV-Chef. Vehement bestreite der Abteilungsleiter, Mitglied der „Artgemeinschaft“ zu sein – einer Verbindung, der auch der hessische Rechtsextremist Stephan Ernst angehört haben soll, der 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschoss.
Der TSV schreibt weiter: „Es wurden in den letzten 25 Jahren seiner Tätigkeit aus der Leichtathletikabteilung weder rassistische, diskriminierende oder sonstige extremistische Äußerungen oder gar Handlungen innerhalb des Vereins an den Vorstand herangetragen. Auch aus der Dorfgemeinschaft und der Gemeinde sind uns keine entsprechenden Äußerungen bekannt. In einer Sondersitzung hat der Vorstand nach umfangreicher Erörterung und sorgfältiger Abwägung einstimmig beschlossen, aktuell keinerlei vom Sportbetrieb ausschließende Maßnahmen einzuleiten.“ Die vollständige Stellungnahme des Vereins steht hier.
Dirk Giere ist Gemeindebrandmeister Bienenbüttels. Er bestätigt zum TV-Beitrag gegenüber der AZ: „Einige dieser Personen sind auch Mitglied in Ortsfeuerwehren unserer Gemeinde.“ Das Team der Gemeindebrandmeister schreibt in einer Stellungnahme: „Die Feuerwehren verstehen sich als eine politisch neutrale, den Menschenrechten und dem Rechtsstaat verpflichtete Einrichtung.
In einem vom Deutschen Feuerwehrverband herausgegebenen ,Leitfaden zum Umgang mit extremistischen Erscheinungsformen‘ heißt es: ,Extremismus widerstrebt nicht nur dem Auftrag der Feuerwehr, sondern ist auch mit Kameradschaft und Kollegialität unvereinbar.‘ Sollten sich Personen im Feuerwehrdienst rassistisch äußern oder durch Äußerungen oder tatsächliches Handeln zu Erkennen geben, dass sie die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnen beziehungsweise abschaffen wollen, werden wir dem entschieden entgegentreten. Hierbei ist es unerheblich, ob dieses Tun durch extrem linke, rechtsnationale oder gar religiöse Ideologien motiviert ist.“
Jan Henner Putzier, Fraktionsvorsitzender der SPD im Kreistag Uelzen, nennt es „besorgniserregend, wie sich die Völkischen Siedler in unserer Region ausgebreitet haben.“ Die Sozialdemokraten haben deshalb eine Resolution zur Verabschiedung verfasst. Um ein erstes Zeichen zu setzen, sollten Holzkreuze der Gruppe „Beherzt“ im Eingangsbereich des Kreishauses aufgestellt werden – so wie bereits in den Rathäusern der Samtgemeinde Bevensen-Ebstorf.
Mathias Jeßen, Fraktionsvorsitzender der Wählergemeinschaft (KA) Bienenbüttel, betont: „Bienenbüttel hat sich in der Vergangenheit nicht weggeduckt und darf das auch jetzt und in Zukunft nicht tun.“ Die KA knüpfe mit einem Resolutionsantrag an den Juli 2016 an, als der Gemeinderat einhellig völkische, rechte, linke und religiös-radikale Entwicklungen missbilligt habe. „Und vor allem – und das ist die eigentliche Botschaft unseres Antrages – dürfen wir nicht ,leise‘ sein!“ Ergänzend zur Resolution wünsche sich die KA „eine offene, kreative Diskussion im Gemeinderat über weitere Möglichkeiten, Zeichen gegen Verfassungsfeinde zu setzen“, wie es heißt.