Jung und depressiv: Auch Dreijährige werden behandelt – dramatische Entwicklung auch im Kreis Uelzen

Uelzen. Kinder sollen unbeschwert aufwachsen, heißt es. Doch das ist vielen heutzutage nicht mehr möglich: Laut einer aktuellen Krankenkassen-Studie leiden immer mehr Kinder und Jugendliche unter psychischen Erkrankungen.
Hochgerechnet auf alle Krankenkassen seien etwa 1,1 Millionen Minderjährige in Deutschland betroffen, vermutet die Kaufmännische Krankenkasse. Die Anzahl der an Depressionen erkrankten Schüler sei bei den 13- bis 18-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren um fast 120 Prozent in die Höhe geschossen. Diese dramatische Entwicklung zeichnet sich auch in Uelzen ab.

„Es kommt vor, dass wir Dreijährige behandeln“, berichtet Neele Weber, ärztlich-therapeutische Leiterin der Kinder- und jugendpsychiatrischen Institutsambulanz in Uelzen, wenngleich das eher die Ausnahme sei. Sehr junge Patienten zwischen sechs und zwölf Jahren seien aber keine Seltenheit. „Oft handelt es sich um Jungen, die unter expansiven Störungen leiden“, erklärt die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Sie würden in der Schule auffallen, weil sie Konzentrationsprobleme haben und besonders unruhig sind. Im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren seien es eher Mädchen, die mit introversiven Störungen wie Depressionen oder Essstörungen in die Institutsambulanz kommen.

Zwei Jahre gibt es die Institutsambulanz für Kinder und Jugendliche, eine Außenstelle der Psychiatrischen Klinik Lüneburg, in Uelzen. Die übergangsweise in Bad Bevensen stationierte Tagesklinik für Fünf- bis 18-Jährige soll 2020 nach Uelzen umziehen. „Der Bedarf ist auf jeden Fall vorhanden“, bestätigt Chefarzt Dr. Alexander Naumann. Vor allem die Zahl an psychosomatischen Erkrankungen, also körperliche Beschwerden, die durch psychische Probleme hervorgerufen werden, sei in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Der schulische Druck sowie die permanente Reizüberflutung durch das Internet seien Stressfaktoren, wie Stefan Pflug, Uelzens Regionalleiter der Barmer Krankenkasse, berichtet. Das Gefühl, mit Gleichaltrigen mithalten zu müssen, sei sowohl in der Schule als auch bei Freizeitaktivitäten allgegenwärtig. Gerade bei der Smartphone-Generation sei Cyber-Mobbing, also Mobbing im Internet, ein großes Problem. Hinzu käme, dass gemeinsame Zeit mit der Familie weniger werde, weil beide Elternteile arbeiten müssen. „Dann fallen gemeinsame Mahlzeiten, bei denen man sich über den Tag unterhält, oft aus.“
Doch auch nach der Schulzeit werde der Druck nicht weniger: „Turbo-Abi, schnell in die Ausbildung, die permanente Erreichbarkeit und Umzüge in eine andere Stadt wegen des Studiums“, zählt Stefan Pflug Gründe auf, die bei jungen Menschen Stress und – bei anhaltendem Zustand – psychische Erkrankungen auslösen können. „Im Kreis Uelzen waren laut dem Barmer Arztreport 2016 rund 10,1 Prozent der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren mit Depressionen in Behandlung – etwa 840 junge Menschen.“ Damit rangiert der Landkreis Uelzen in ganz Niedersachsen hinter Salzgitter auf Platz 2.
Zwar sei es normal, dass Heranwachsende auch mal traurig sind. „Doch wenn der Zustand über Wochen anhält, ist es für Familien wichtig, sich beraten zu lassen. Wir können an vielen Punkten mithelfen.“ Mit dem Online-Kurs ProMind stellt die Barmer seinen Versicherten online ein Angebot zur Verfügung, um präventiv das psychische Wohlbefinden zu verbessern.
Von Sandra Hackenberg