Das Sportgericht des Heide-Wendland-Kreises hat die Verantwortlichen zu Geldstrafen verurteilt. Auch die SV Scharnebeck und Teutonia Uelzen als federführender Verein in der Jugendspielgemeinschaft mit Veerßen müssen „wegen schuldhaften Herbeiführens eines Spielabbruches“ je 100 Euro zahlen – das Strafmaß hierfür liegt zwischen 50 und 1000 Euro. Meisterschaftspunkte gibt es keine. Das Gericht wertete das Spiel für beide Mannschaften als verloren mit 0:5 Toren.
Wenn ein Schiedsrichter bei einem Verein Gewalt erleben muss, dann ist das eine schlimme Erfahrung, die ihn lange, womöglich das ganze Leben lang begleiten wird.
In seinem Sonderbericht erklärt der 16-jährige Schiedsrichter vom TuS Barendorf, dass Uelzener Spieler während der Partie ihm gegenüber „massiven Druck aufgebaut haben“, dass er „bedrängt und beleidigt“ worden sei. Nach einem Strafstoßpfiff drohte die Situation in der 45. Minute zu eskalieren. Vereinsverantwortliche beider Mannschaften betraten unaufgefordert den Rasen.
„Mit ihrem beleidigenden, aggressiven, bedrängenden Verhalten (...) haben sie den Schiedsrichter eingeschüchtert und verängstigt“, erklärt das Kreissportgericht in seinem Urteilsspruch. So habe der Scharnebecker Vereinsoffizielle den Unparteiischen bedroht, indem er dafür sorgen wolle, dass der junge Mann „nie wieder ein Spiel leitet, wenn er das jetzt nicht abbricht“.
Das Sportgericht resümiert: „Ist es schon nicht nachzuvollziehen, dass zwölfjährige Menschen auf einen 16-Jährigen solchen Druck ausüben – von einem Vereinsoffiziellen ist ein anderes Verhalten zu erwarten. Der Druck, unter den der Schiedsrichter hier mental gesetzt wurde, macht die Entscheidung des Spielabbruchs nachvollziehbar und fordert Konsequenzen für alle Handelnden.“
2019 waren im Niedersächsischen Fußball-Verband (NFV) 7548 aktive Unparteiische registriert. 2020 war die Anzahl mit 7510 fast konstant. Aktueller Stand vom Oktober 2022 laut NFV-Schiedsrichterausschuss: 6198.
Das Sportgericht verurteilte den Scharnebecker wegen unsportlichen Verhaltens in Tatmehrheit mit Schiedsrichter-Bedrohung zu einer Geldstrafe in Höhe von 75 Euro. Unsportliches Verhalten kann laut der Rechts- und Verfahrensordnung des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV) mit bis zu 150 und Bedrohung mit bis zu 250 Euro bestraft werden.
Der JSG-Offzielle der SV Teutonia/Veerßen muss wegen unsportlichem Verhalten 25 Euro zahlen. Das Sportgericht berücksichtigte, dass er sich nach Aussage des Schiedsrichters „ihm gegenüber mehrfach für das Verhalten seiner Mannschaft entschuldigt hat“.
Nach dem Abbruch kamen auch Eltern auf den Rasen. In allen vom Gericht eingeholten Stellungnahmen und im Schiedsrichterbericht werden „rassistische Beleidigungen“ gegenüber den Uelzenern bestätigt. Eine Person aus dem Scharnebecker Lager sei als „Nazischwein“ beschimpft worden.
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Das Gericht erklärte es „als unerheblich, gegen wen letztendlich die Beleidigungen erfolgt“ und „ob sie von Vereinsoffiziellen oder Zuschauern ausgegangen sind“. Es verurteilte beide Vereine wegen „diskriminierendem Verhalten von Anhängern“ zu 100 Euro Strafe. Mögliches Strafmaß: bis 5000 Euro.
„Spielervater beleidigt und bedroht Schiedsrichter.“ „Spieler wegen Tätlichkeit und Bedrohung gegen den Schiedsrichter zu neun Monaten Sperre verurteilt.“ „Spielabbruch: Zuschauer läuft aufs Feld und beschimpft Spieler mit diskriminierenden Äußerungen.“
Das sind drei ausgewählte Schlagzeilen, die der Fußballkreis Heide-Wendland (HWK) allein in dieser Saison nach Sportgerichtsurteilen veröffentlichte. Dennoch betont der HWK-Vorsitzende Hartmut Jäkel (Ebstorf): „Wir haben hier im Vergleich zu den städtischen Ballungsgebieten noch relativ wenig Vorfälle“. Es gebe aber „bedenkliche Tendenzen“.
Das bestätigt Bernd Domurat (Osnabrück) im AZ-Gespräch: „Der Heide-Wendland-Kreis ist aus meiner Wahrnehmung nicht auffällig.“ Der Vorsitzende des NFV-Schiedsrichterausschusses und ehemalige Zweitliga-Referee weiß aber auch: „Der Respekt vor Entscheidungsträgern sinkt.“ Unfairness, verbale und tätliche Gewalt seien „nicht fußballtypisch“, sondern zeigten sich zunehmend in der Gesellschaft in „kaum noch zu ertragender“ Weise, etwa Einsatzkräften gegenüber.
Der Schiedsrichter-Ausschuss des NFV hat alle niedersächsischen Fußballvereine sowie die Gremien des Verbandes (Präsidium, Vorstand, Verbandsausschüsse und -sportgerichte) in einem zweiseitigen Schreiben sensibilisiert. Denn die Anzahl der Unparteiischen in Deutschland und so auch in Niedersachsen „ist seit Jahren rückläufig“. Insbesondere dort, wo der Fußball herkommt: an der Basis. Domurat: „Wesentliche Gründe sind sicherlich auch die zunehmende Respektlosigkeit, Unfairness und leider auch Gewalt gegen unsere Unparteiischen.“ In der Saison 2021/22 gab es in Deutschland so viele Spielabbrüche wie nie zuvor. „Bei der Hälfte davon war der Schiedsrichter von Gewalt betroffen“, sagt Domurat. Die meisten jungen Referees werfen demnach im ersten Jahr nach ihrer Prüfung hin, „weil sie sich das nicht mehr antun wollen“.
Domurat sieht die Vereine in der Pflicht, für Sicherheit und Ordnung auf ihren Plätzen zu sorgen und Personen, die gegen den respektvollen Umgang verstoßen, „vom Gelände zu entfernen – auch als klares Signal nach außen“. Das gelte gerade auch bei Jugendspielen und betrifft dann auch manche Eltern und Betreuer.
„Die Strafen müssen wehtun!“
Insgesamt steht das Thema Gewaltprävention im NFV mit wissenschaftlicher Unterstützung seit Jahren auf der Tagesordnung. Domurat: „Bei jeglicher Form von Gewalt gilt eine absolute Null-Toleranz-Linie. Wenn ein Schiedsrichter oder ein Assistent Gewalt erfährt, dann führt das zum sofortigen Spielabbruch – egal, wann der Vorfall geschieht.“
Die Unparteiischen selbst haben ein Patensystem für junge Spielleiter eingeführt; ein erfahrener Referee begleitet sie zu den ersten Einsätzen. Nach Vorfällen wie in Scharnebeck werden die betroffenen Unparteiischen vom Kreisschiedsrichterausschuss betreut. Auch die Spielausschüsse und Sportgerichte spielen bei der Prävention eine wichtige Rolle, wenn sie Geldbußen und Spielsperren verhängen. Jäkel: „Die Strafen müssen wehtun!“ Häufig orientiert sich die Bemessung an der unteren Grenze.
Es gebe in Niedersachsen natürlich auch „zahlreiche positive Beispiele, zahlreiche Vereine, die sich ohne Wenn und Aber vor, während und nach dem Spiel für die Unparteiischen einsetzen, egal, wie das Endergebnis lautet“, betont Bernd Domurat.