Thomas Doll über Werder Bremen: „Es ist unglaublich, was in Bremen passiert“

Budapest/Bremen – „Im Moment geht es nicht, ich kann erst in einer Stunde“, meldet sich Thomas Doll am Telefon. Seine schlüssige Begründung: „Ich muss erst noch meine Kleine wickeln.“ Anruf in Budapest. Dort lebt der frühere Nationalspieler, Ungarn ist seine Wahlheimat seit geraumer Zeit. Er ist verheiratet mit der Ungarin Edina, die ihm im Oktober die dritte Tochter Emilia Hanna geschenkt hat. Glücklich sei er mit dem Nachwuchs, sagt der 55-Jährige. Was ihm fehlt zur Vollkommenheit, ist lediglich ein neuer Job im Fußballgeschäft.
Ende 2019 wurde Thomas Doll bei APOEL Nikosia trotz Titelgewinn und Erfolgen nach nur vier Monaten entlassen. Seitdem dauert der Wartestand für dem gebürtigen Mecklenburger an, der seine Jugend und die Anfänge seiner Profikarriere bei Hansa Rostock verbrachte. Natürlich verfolgt er die Entwicklung bei seinem Stammverein und fiebert mit Hansa – erst Recht vor dem Duell gegen Werder Bremen. Im Gespräch mit der DeichStube erweist sich Thomas Doll zudem als echter Kenner der 2. Fußball-Bundesliga.
Herr Doll, Sie haben bei den Nordclubs Hamburger SV und Hannover 96 gespielt oder haben sie trainiert. Hatten Sie nie Interesse daran, zu Werder zu wechseln? Gab es nie Kontakt?
Ich hatte schon Lust auf Werder. Das war zu meiner großen Zeit eine tolle Mannschaft mit sagenhaften Spielern und Persönlichkeiten. Fasziniert hat mich auch der Macher. Oftmals habe ich Otto Rehhagel getroffen, unter ihm hätte ich gern mal gespielt.
Warum ging der Wunsch nicht in Erfüllung?
Einmal habe ich etwas läuten gehört, aber nur durch den Busch. Konkret wurde es leider nie. Es hat sich halt anders ergeben. Von Dynamo Berlin bin ich zum HSV, der mich damals unbedingt haben wollte.
Sie haben häufig gegen Bremen gespielt. Welche Erinnerungen sind haften geblieben?
Zunächst mal die Erinnerung an einen Fernseher, einen Farbfernseher, den mir Willi Lemke mal überreicht hat. Es war damals meine Auszeichnung als bester Spieler bei einem Hallenturnier. Das Gerät ist bei mir alt geworden.
Und sportlich?
Natürlich die legendären Partien im Europapokal der Landesmeister 1988, diese Jahrhundertspiele aus der Serie „Werder-Wunder“. Das hat sich bei mir eingebrannt. Wir hatten in Berlin sensationell mit 3:0 gewonnen und sind dann im Weserstadion deklassiert worden.
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Thomas Doll über Duelle mit Werder Bremen: „Jahrhundertspiele haben sich bei mir eingebrannt“
Es gab im Rückspiel eine 0:5-Schlappe in Bremen.
Ja, aber im zweiten Spiel war ich nicht dabei.
Ihr Name taucht aber überall auf. Muss die Statistik umgeschrieben werden?
(lacht) Nein. Aber ich hatte nur zwei Ballkontakte, war also eigentlich gar nicht auf dem Platz. Wie fast alle der Dynamo-Kollegen. Das Spiel lief an uns vorbei.
Kommen wir zur Gegenwart: Wie sehen Sie die Entwicklung bei Werder?
Es ist unglaublich, was in Bremen passiert ist. Sechs Siege in Folge, besser geht es nicht – sowohl von den Zahlen als auch von der Leistung her. Ole Werner hat sich als Glücksgriff erwiesen, er hat eine Mannschaft gebastelt, die eine Ausnahmetruppe in der 2. Liga darstellt. Ich verfolge Werner schon länger, schon seit seiner Zeit bei Holstein Kiel. Auch dort hat er eine neue Truppe aufgebaut. Sein Erfolg nun an der Weser ist kein Zufallsprodukt.
Wie schätzen Sie als ehemaliger Offensivstar den derzeit viel gelobten Werder-Sturm ein?
Niclas Füllkrug kenne ich gut aus meiner Tätigkeit in Hannover. Leider war er dort oft verletzt, ich konnte ihn nur einmal einsetzen. Er ist charakterlich ein guter Typ. Und er ist vor allem ein Stürmer, der weiß, wo das Tor steht. Mit Marvin Ducksch harmoniert er gut. Beide sind enorm torgefährlich. Zwei solche Stürmer zu besitzen, die zeitgleich auf dem Platz stehen können, ist eine Ansage. Im Vergleich zur Konkurrenz um den Aufstieg ist es für Werder ein dickes Plus.
Thomas Doll über Werder Bremen: Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug auf dem Platz sind eine Ansage
Werder muss nun nach Rostock. Eine Pflichtübung? Oder ein möglicher Stolperstein?
Es wird eine schwere Partie für die Bremer, keineswegs ein Spaziergang. Als früherer Rostocker weiß ich, wie schwer es an der Ostsee zugehen kann. Gerade Favoriten weht oftmals ein kräftiger Wind entgegen.
Ihr Ex-Verein Hansa ist beim 4:1 im Ost-Klassiker gegen Dresden zuletzt groß aufgetrumpft.
Schon das Spiel davor gegen Heidenheim (Rostock erkämpfte sich ein 0:0, Anm. d. Red.) konnte sich sehen lassen. Bei Dynamo haben sie dann richtig aufgedreht. Die schnelle hohe Führung kam ihnen natürlich entgegen. Dresden zelebrierte vor dem Anpfiff feierlich das Gedenken an Dixie Dörner, diese Legende. Ich denke, das hat sich auf die Dynamo-Jungs ausgewirkt. Es fühlte sich für mich so an, als ob die aufgefrischte Erinnerung an den Tod Dörners einen Schock ausgelöst hat.
Was zeichnet den Aufsteiger Rostock aus?
Dort wird seit Jahren gute Arbeit geleistet. Martin Pieckenhagen, mein ehemaliger Torwart beim HSV, macht es als Sportvorstand sehr gut. Mit geringem Budget hat er stets einen schlagkräftigen Kader zusammengestellt. Er arbeitet fleißig und holt Spieler, deren Transfers machbar sind, die aber auch eine gewisse Qualität aufweisen. Wie gut er seine Hausaufgaben zu machen versteht, zeigte sich im Sommer. Gut zwei Wochen nach dem Aufstieg hatte er die Planungen schon weitgehend abgeschlossen.
Und was halten Sie vom Trainer?
Genauso viel wie vom Manager. Jens Härtel hat schon in Magdeburg gute Arbeit geleistet, und setzt das nun bei Hansa fort. Der Erfolg spricht für sich und für ihn. Wer so einen Traditionsclub zurück in die 2. Liga führt, hat Legendenstatus erlangt.
Zuletzt gab es vier Treffer in Dresden, je zwei vom Niederländer John Verhoek sowie vom Schweden Nils Fröling. Ist die Offensive Hansas bester Mannschaftsteil?
Im Sturm ist Hansa gut besetzt. Verhoek bringt es auf zwölf Saisontore, zählt damit ligaweit zu den herausragenden Akteuren. Und Winter-Neuzugang Fröling hat auch gleich getroffen. Er scheint ein guter Griff zu sein.
Thomas Doll über den Aufstiegskampf: Werder Bremen und der HSV sind die heißesten Kandidaten
Kann Rostock der Klassenerhalt gelingen?
Ich hoffe es sehr. Ich bin glücklich, dass Hansa nun wieder zweitklassig geworden ist, und wünsche mir, dass es so bleibt. Ich freue mich immer, wenn Clubs aus dem Osten wieder nach oben kommen. Wie nun die Magdeburger, die wohl aufsteigen werden. Mal schauen, was aus Aue und Dresden wird. Hoffentlich erwischt es sie nicht mit dem Abstieg.
Von unten nach oben in der Tabelle: Wer steigt am Ende auf?
Momentan spricht vieles, wenn nicht gar alles für die großen Vereine aus dem Norden. Werder und der HSV sind die heißesten Kandidaten. Doch es bleibt knifflig, weil St. Pauli, Darmstadt und Schalke mitmischen und Heidenheim nicht zu unterschätzen ist. Ich wünsche mir, dass der Norden wieder nach oben kommt, dass Bremen und Hamburg das Comeback im Oberhaus feiern.
Seit zwei Jahren sind Sie nun ohne Job. Wann sehen wir Sie wieder auf der Trainerbank?
Ein Jahr Auszeit wollte ich mir gönnen, dann kam die Pandemie. Es gab schon einige Anfragen, vor allem aus Osteuropa, aber auch aus Deutschland, aus der 2. Liga, die ich für interessant halte. Ich bin ein Wettkampftyp, bin es schon immer gewesen. Ich vermisse den Fußball. Ich habe immer noch Lust und hoffe, dass ich bald wieder dabei bin. (hgk)