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25:3 Schüsse, 1:1 Tore: Wie Werder gegen Sandhausen zwei Punkte liegen ließ - die Taktik-Analyse

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Von: Tobias Escher

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Werder Bremen-Trainer Ole Werner und sein Team fanden gegen den SV Sandhausen einige Lösungen, konnten die vielen Chancen aber lediglich in ein Tor ummünzen.
Werder Bremen-Trainer Ole Werner und sein Team fanden gegen den SV Sandhausen einige Lösungen, konnten die vielen Chancen aber lediglich in ein Tor ummünzen. © gumzmedia

Bremen - Werder Bremen dominierte den SV Sandhausen nach Belieben. Trotzdem erreichten die Bremer am Ende nur ein 1:1-Unentschieden – und ließen damit zwei wichtige Punkte im Aufstiegskampf liegen. Warum Werder das Spiel komplett beherrschte, aber dennoch etwas die Durchschlagskraft fehlte, analysiert unser Taktik-Kolumnist Tobias Escher.

Legt sich dein Gegner eine Taktik zurecht, spricht man von einem cleveren Matchplan. Spielen zwei Gegner nacheinander mit derselben Taktik gegen dich, kann das Zufall sein. Treten jedoch vier Gegner hintereinander mit derselben Taktik an, kann von Zufall keine Rede mehr sein. Die Zweitligisten haben sich eine Anti-Werder-Taktik zurechtgelegt. Auch der SV Sandhausen nutzte diese. Die gute Nachricht aus Sicht des SV Werder Bremen: Ole Werners Team dominierte den Gegner dennoch nach Belieben. Die schlechte Nachricht: Sie münzten diese Dominanz nicht in Tore um.

Werder Bremen-Remis in der Taktik-Analyse: SV Sandhausen nutzt Matchplan der vorherigen Bremer Gegner

Egal, wie der Gegner heißt, egal, wie viele Spieler ausfallen: Ole Werner bleibt seinem 5-3-2-System treu. Auch gegen den SV Sandhausen lief Werder Bremen mit drei Innenverteidigern auf. Dazu musste Werner ganz schön improvisieren: Als halbrechter Verteidiger half Nicolai Rapp aus, auf halblinks agierte Anthony Jung. Vorne besetzten Nicklas Füllkrug und Marvin Ducksch den Doppelsturm.

Die Grafik zeigt, dass Sandhausen in einem 4-2-3-1-System verteidigte. Sie deckten Werder im Zentrum eng. Räume gab es eigentlich nur auf dem Flügel, und auch dort musste Werder schnelle Verlagerungen anwenden.
Die Grafik zeigt den Matchplan des SV Sandhausen. Sie deckten Werder Bremen im Zentrum eng. Räume gab es eigentlich nur auf dem Flügel, und auch dort musste Werder schnelle Verlagerungen anwenden. © DeichStube

Sandhausen spielte jene Taktik, die bereits Heidenheim beim 2:1-Sieg gegen Werder genutzt hatte. Auch Darmstadt hatte bei der 0:1-Niederlage bis zur frühen Roten Karte eine ähnliche Formation gegen Werder Bremen genutzt. Sandhausen lief in einem 4-2-3-1 auf. Vorne agierte Pascal Testroet als einsamer Stürmer. Dahinter übte Sandhausen eine Manndeckung aus im Mittefeld: Janik Bachmann deckte Werder-Sechser Ilia Gruev, auch Romano Schmid und Niklas Schmid wurden eng bewacht. Das Zentrum machte Sandhausen damit enorm eng. Sandhausen stand zwar deutlich tiefer als Darmstadt oder Heidenheim. Ihre Raumaufteilung ähnelte jedoch den großen Vorbildern. Somit blieb Werder Bremen der liebste Weg im Aufbau verwehrt: Vertikale Pässe ins Mittelfeld oder auf die Sturmspitzen waren kaum möglich. Werder ließ den Ball lange in der Abwehrkette zirkulieren, um eine Lücke in der gegnerischen Formation zu öffnen. Bis zum Abpfiff sammelte Werder einen Ballbesitzwert von 75% - absoluter Rekord in dieser Zweitliga-Saison.

Werder Bremen-Unentschieden gegen Sandhausen in der Taktik-Analyse: Ilia Gruev ist kein Christian Groß

Werder Bremen tat sich jedoch lange Zeit schwer damit, diesen Ballbesitz auch in Torchancen zu übersetzen. Das Mittelfeld-Zentrum blieb fest in der Hand der Sandhausener: Sie deckten die Bremer eng, ließen ihren Gegenspieler aber auch immer mal wieder laufen, wenn dieser sich zu weit wegbewegte. Der SV Sandhausen erlaubte Werder zwar, den ersten Pass auf die Flügel zu spielen. Im Zentrum standen die Gäste jedoch bombenfest. Als Dynamo Dresden vor vier Wochen eine ähnliche Taktik anwandte, fand Bremen eine clevere Lösung: Sechser Christian Groß bewegte sich viel nach vorne und hinten. Somit wurde er entweder frei oder zog seinen Manndecker mit sich. Das öffnete Räume im Zentrum.

Gegen den SV Sandhausen spielte Groß in der Innenverteidigung – und war abermals der entscheidende Spieler, um das Zentrum zu öffnen. Immer wieder dribbelte er an oder positionierte sich im Raum vor der Abwehr. Seine Vorstöße wirbelten das Mittelfeld des Gegners durcheinander. Teilweise wagte er sich weit in die gegnerische Hälfte und beteiligte sich so am Angriffsspiel. Groß‘ offensive Leistung wirft einen Schatten auf den eigentlichen Sechser: Ilia Gruev war nicht derart präsent. Er hatte nur die sechstmeisten Ballkontakte aller Spieler des SV Werder Bremen. Zwar bewegt auch Gruev sich viel, allerdings zumeist nur horizontal, also nach links oder rechts. Das war häufig zu wenig, um seinen Gegenspieler aus dem Zentrum herauszulocken.

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Werder Bremen-Remis in der Taktik-Analyse: SV Sandhausen trifft mit dem ersten Schuss aufs Tor

Zumindest in einer Hinsicht war Gruevs eher zurückhaltendes Spiel wichtig: Er hielt selbst das Zentrum geschlossen. Dem SV Sandhausen gelang es praktisch nicht, zu Kontern zu gelangen. In der ersten Halbzeit gaben sie keinen einzigen Schuss ab. Erst in der 64. Minute kam ein Ball auf den Kasten von Jiri Pavlenka. Ilia Gruev hatte zuvor den Ball im Mittelfeld verloren. Blöd für Werder Bremen: Dieser erste Schuss führte gleich zum ersten Treffer. Werder intensivierte die Offensivbemühungen. In der zweiten Halbzeit lief ihr Offensivspiel tatsächlich etwas flotter: Werder nutzte nun gezielter die Flügel für Vorstöße. Sie lockten den Gegner auf eine Seite, um anschließend mit langen Verlagerungen das Spiel zu öffnen. Beim Ausgleichstreffer (73.) wiederum profitierten sie davon, dass Sandhausen nach einem Freistoß das Zentrum öffnete. Es sollte das erste und das einzige Mal bleiben, dass Werder durch die Mitte angreifen konnte.

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Nach dem 1:1-Ausgleich warf Werder Bremen weiter alles nach vorne. Der SV Sandhausen verteidigte in einem 4-4-1-1 tapfer am eigenen Strafraum. Trotzdem kam Werder zu Chancen. Das Problem war deren Verwertung: Angesichts eines Torschuss-Verhältnisses von 25:3 hätte Werder als Sieger vom Platz gehen müssen. Werder kann zwar von sich behaupten, das Anti-Werner-System erfolgreich geknackt zu haben. Die taktisch gute Leistung hätten sie sicher aber gerne in einen Sieg verwandelt. Nun geht es gegen die Aufstiegskonkurrenz aus St. Pauli, Schalke und Nürnberg. Sie werden wohl nicht die Anti-Werner-Taktik nutzen, sondern ihr eigenes Spiel durchziehen wollen. Ausgang ungewiss. Auch interessant: Nächster Dämpfer für Lars Lukas Mai! Werder-Trainer Ole Werner setzt trotz Personalnot nicht auf den Abwehrspieler!

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