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Eifrige Maurer und effiziente Angreifer: Die 4:1-Gala von Werder Bremen gegen Hertha BSC in der Taktik-Analyse

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Der Plan von Cheftrainer Florian Kohfeldt ist gegen Hertha BSC aufgegangen: Das 4:1 von Werder Bremen in der Taktik-Analyse.
Der Plan von Cheftrainer Florian Kohfeldt ist gegen Hertha BSC aufgegangen: Das 4:1 von Werder Bremen in der Taktik-Analyse. © nordphoto / gumzmedia

Berlin - Sieben Schüsse, vier Tore: Effizienter als Werder Bremen kann eine Fußballmannschaft kaum spielen. Wieso der Bremer Kantersieg in erster Linie auf das Konto einer völlig indisponierten Hertha geht, analysiert unser Taktik-Kolumnist Tobias Escher.

Als Werder Bremens Trainer Florian Kohfeldt seine Taktik gegen Hertha BSC austüftelte, hatte er sicher einen Sieg erwartet. Defensiv stehen, den Gegner kommen lassen, schnelle Gegenstöße setzen: Diese Strategie hatte bereits in den vergangenen Wochen gut funktioniert und sollte auch die Hertha zu Fall bringen. Dass seine Bremer mit einer komplett defensiven Taktik vier Tore erzielen gegen den Hauptstadtklub: Das hätte sicher nicht einmal Kohfeldt zu träumen gewagt. Werder bestach durch defensive Kompaktheit und eine hohe Effizienz vor dem Tor.

Werder Bremen in der Taktik-Analyse: Spielerische Defizite auf Seiten der Hertha

Florian Kohfeldt vertraute erneut auf ein defensives 5-3-2-System. Aufgrund des Ausfalls von Kevin Möhwald musste Maximilian Eggestein auf der Sechser-Position aushelfen. Vor ihm bildeten Leonardo Bittencourt und Jean-Manuel Mbom eine Doppelacht. Die Stürmer Davie Selke und Romano Schmid sollten mit ihrem Tempo für Konter bereitstehen. Das eigene Tempo spielte Werder Bremen zunächst aber nicht aus. Sie zogen sich weit zurück: Die Fünferkette baute sich vor dem eigenen Strafraum auf, selbst der Doppelsturm rückte weit in die eigene Hälfte. Die Stürmer sollten die Passwege ins Mittelfeld schließen. Dort wiederum sorgte das Dreier-Mittelfeld für eine hohe Kompaktheit.

Hertha BSC ließ zunächst Ball und Gegner laufen. Trainer Bruno Labbadia hatte seine Elf in einem 4-2-3-1-System aufgestellt. Auffällig war die hohe Rolle der Außenverteidiger. Diese sollen bei Labbadia weit vorrücken. Die Lücken im Spielaufbau füllen die Sechser: Diese kippen auf die Außenverteidiger-Positionen heraus und gestalten von hier das Spiel. Die Außenstürmer können durch die hohe Rolle der Außenverteidiger wiederum ins Zentrum rücken. Auf Rechtsaußen nahm sich Matheus Cunha als Freigeist viele Freiheiten, auf Linksaußen agierte Maximilian Mittelstädt tororientiert.

Werder Bremen in der Taktik-Analyse gegen Hertha BSC: Zwei Angriffe, zwei Tore

Mit dieser Aufstellung brachte Hertha die Bremer Defensive kaum ins Schwitzen. Auf links hielt sich Mittelstädt spürbar zurück. Seine Aufstellung war eine eher defensive Maßnahme; wahrscheinlich wollte Labbadia Theodor Gebre Selassies Vorstöße kontern. Herthas Spiel lief einseitig über den rechten Flügel. Werder Bremen konnte auf diese Seite verschieben, vor allem Mbom rückte aggressiv heraus. Werder kam zunächst gegen Hertha nicht zu Angriffen. Die klare Struktur half den Berlinern, nach Ballverlusten sofort nachzusetzen. Im Zentrum und auf links funktionierte das sehr gut. Nur auf rechts nahmen sich Cunha und seine Kollegen teils zu viele Freiheiten. Werder konnte sich hier befreien – und über diese Seite den Elfmeter zum frühen 1:0 einleiten (10.).

Hier kam Werders große Stärke an diesem Abend zum Vorschein: die Effizienz. Gerade einmal siebn Schüsse gaben die Bremer auf das Tor ab, fünf flogen auf den Kasten. Vier dieser Schüsse landeten im Tor. Allein Herthas Stürmer Jhon Cordoba gab sechs Schüsse ab. Doch die Berliner waren nicht annähernd so treffsicher wie die Bremer.

Mangelhafte Chancenqualität der Berliner - die Taktik von Werder Bremen in der Analyse

Das lag nicht zuletzt an der Qualität der Abschlüsse: Zwar gelang es den Berlinern im Verlaufe der ersten Halbzeit, über die rechte Seite mit Flanken vor das Tor zu gelangen. Nur selten kamen sie dabei zu klaren Abschlüssen wie bei Cordobas Treffer zum 2:1 (45.). Die Dreierkette des SV Werder Bremen verteidigte ansonsten souverän im eigenen Strafraum. Der rechtzeitige Wechsel von Raum- auf Manndeckung im Strafraum funktioniert wesentlich besser als zu Beginn dieser Saison.

Nach der Pause versuchte Bruno Labbadia mit allen Mitteln, die Offensive seines Teams zu verbessern. Cunha wechselte von der rechten auf die linke Seite, war aber sowieso überall zu finden. Vladimir Darida bildete eine offensive Doppelsechs mit Mattéo Guendouzi. Der eingewechselte Matthew Leckie begann als Rechtsaußen, wurde aber schnell zum Rechtsverteidiger umfunktioniert. Hertha BSC wollte angreifen. Das taten die Berliner mit Wucht, aber selten mit System. Gerade die Spieler im Zentrum bewegten sich, wie sie wollten. Immer wieder rückte Hertha mit vielen Spielern auf einen Flügel, ohne die Angriffe von dort zu Ende zu spielen. Werder verharrte im kompakten 5-3-2 und ließ die Berliner machen. Diese spielten ihre 66% Ballbesitz hauptsächlich auf den Flügeln aus.

Herthas System im Spielaufbau und wie Werder Bremen dagegen verteidigte: Das Zentrum verbarrikadierte Werder im eigenen 5-3-2. Hertha versuchte, über die herausrückenden Sechser und die nach vorne rückenden Außenverteidiger über die Flügel Raumgewinn zu erzielen. Das gelang allerdings nur selten.
Herthas System im Spielaufbau und wie Werder Bremen dagegen verteidigte: Das Zentrum verbarrikadierte Werder im eigenen 5-3-2. Hertha versuchte, über die herausrückenden Sechser und die nach vorne rückenden Außenverteidiger über die Flügel Raumgewinn zu erzielen. Das gelang allerdings nur selten. © DeichStube

Werder Bremen gegen Hertha BSC in der Taktik-Analyse: Auflösungserscheinungen beim Gegner

Mit einem kleinen Kniff gelang es Florian Kohfeldt zudem, die Kontergefahr seiner Stürmer zu erhöhen: Milot Rashica (51., für Mbom) kam als zweiter Stürmer. Zusammen mit dem ebenfalls eingewechselten Joshua Sargent (32., für Selke) sorgte er für Tempo. Schmid wiederum agierte bei Ballbesitz fortan als Zehner. Er besetzte den Raum vor Herthas Abwehr, den diese so häufig leer ließen. Werders kompakte Defensive sowie die schnellen Konter ließen Hertha nach und nach zusammenbrechen. Labbadias Elf begann sich ab der 60. Minute aufzulösen. Werder Bremen nahm die Angebote der Berliner an und schraubte das Ergebnis auf 4:1 hoch; ein Ergebnis, mit dem wohl nicht einmal Kohfeldt gerechnet hat.

Das ist die Stärke der Bremer in diesen Wochen: Mit ihrer komplett defensiven Spielweise legen sie die spielerischen Schwächen ihrer Gegner gnadenlos offen. Offensiv sind die Bremer kaum besser als ihre Gegner, dafür aber effizienter. Diese Effizienz bescherte Bremen drei wichtige Punkte im Kampf gegen den Abstieg.

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