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Viele Flügelangriffe und noch mehr Pech: Werder Bremen gegen Holstein Kiel in der Taktik-Analyse

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Von: Tobias Escher

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Taktik-Analyse: Der Matchplan des SV Werder Bremen geht gegen Holstein Kiel am Ende nicht auf - Trainer Ole Werner (re.) im Austausch mit seiner Mannschaft.
Taktik-Analyse: Der Matchplan des SV Werder Bremen geht gegen Holstein Kiel am Ende nicht auf - Trainer Ole Werner (re.) im Austausch mit seiner Mannschaft. © gumzmedia

Bremen – Auf dem Weg zum Aufstieg widerfährt Werder Bremen eine bittere 2:3-Niederlage gegen Holstein Kiel. Bitter auch deshalb, weil Werder aus taktischer Sicht das dominante Team war. Deichstube-Taktikanalyst Tobias Escher seziert die Partie.

Drei Spiele bis zum Glück: So lautete Werders Losung vor dem Saisonfinale. Während die Konkurrenz noch ein schweres Programm vor sich hat – Schalke und St. Pauli spielen noch gegeneinander -, trifft Werder Bremen auf vermeintlich leichte Gegner. Vermeintlich. Bereits im ersten Schicksalsspiel setzt Holstein Kiel den Bremern eine empfindliche Niederlage zu. Es half Werder nicht, dass sie das dominante Team waren. Werders Achillesverse im Aufstiegskampf ist die Chancenverwertung.

Werder Bremen gegen Holstein Kiel in der Taktik-Analyse: Mannorientierungen auf dem ganzen Feld

Ole Werner schickte seine Bremer in der gewohnten 5-3-2-Formation auf das Feld. Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug bildeten den Doppelsturm. Die Dreierreihe dahinter agierte im Spiel gegen den Ball mannorientiert. Leonardo Bittencourt, Romano Schmid und Ilia Gruev verfolgten ihre Gegenspieler teilweise weit bis in deren Hälfte. Holstein Kiel wählte einen ähnlich mannorientierten Ansatz. Trainer Marcel Rapp stellte seine Mannschaft in einem nominellen 5-2-1-2 auf. Nicht nur die Mittelfeldspieler, auch die Innenverteidiger verfolgten ihre Bremer Gegenspieler weit. Holstein verteidigte somit nicht immer kompakt; die Spieler verließen häufig ihre Position. Sie erzeugten aber durch die enge Deckung Zugriff auf Werder Bremen. Vor allem Ducksch, der wie gewohnt auf den linken Flügel auswich, spürte ständig den Atem seines Gegenspielers im Nacken.

In der ersten halben Stunde versuchte Holstein Kiel, die Bremer früh zu stören. Steven Skrzybski stieß dazu aus dem Mittelfeld nach vorne. Er spielte als Zehner eigentlich hinter Kiels Doppelsturm, agierte im Pressing aber zumeist als vorderste Speerspitze. Er setzte Marco Friedl unter Druck. Kiel lief Werders Dreierkette konsequent an – und provozierte damit manch unkontrollierten Befreiungsschlag.

Werder Bremen: Von der Führung zur Dominanz gegen Holstein Kiel - die Taktik-Analyse

Werder Bremen erlangte in der ersten halben Stunde zwar nicht die Kontrolle über die Partie; dazu war Kiels Pressing zu wild und der eigene Spielaufbau zu ungenau. Trotzdem gelang es den Bremern immer wieder, das Pressing der Gegner auszuhebeln. Werder fand vor allem auf der eigenen linken Seite Lücken beim Gegner. Die Bremer lockten den Gegner auf die andere Seite. Die Kieler Doppelsechs schob weit hinüber. Auf der gegenüberliegenden Seite stand Felix Agu frei. Werders Linksverteidiger stach mit seinen Offensivaktionen hervor. Nach der frühen 2:0-Führung durch Füllkrug (2.) und Ducksch (23. per Elfmeter) gelang es Werder, die Partie zu beruhigen. Kiel konnte das hohe Tempo der Anfangsviertelstunde nicht halten. Skrzybski presste Friedl nicht mehr konsequent. Werder konnte den Ball länger in der eigenen Abwehrreihe laufen lassen.

Die Grafik zeigt, wie  es Werder Bermen gelang, das Pressing der Kieler zu überspielen. Skrzybski stieß immer wieder nach vorne, um Friedl zu pressen. Dadurch entstand eine Lücke im Mittelfeld. Anthony Jung schob sich neben Ilia Gruev, um diesen freien Raum zu besetzen.
Die Grafik zeigt, wie es Werder Bermen gelang, das Pressing der Kieler zu überspielen. Skrzybski stieß immer wieder nach vorne, um Friedl zu pressen. Dadurch entstand eine Lücke im Mittelfeld. Anthony Jung schob sich neben Ilia Gruev, um diesen freien Raum zu besetzen. © DeichStube

Dem SV Werder Bremen gelang es nun zudem häufiger, die erste Pressinglinie der Kieler zu überspielen. Anthony Jung und Marco Friedl verharrten nicht mehr in ihrer Position, sondern schoben häufig vor ins Mittelfeld. Werder hebelte das Pressing über einen Pass ins zentrale Mittelfeld aus. So sammelten die Bremer Ballbesitz. Während die Ballbesitzquote in der ersten halben Stunde ausgeglichen war, lag Werders Ballbesitzwert ab der 30. Minute bei 66 Prozent.

Taktik-Analyse: Werder Bremen hat die Chancen, Holstein Kiel macht die Tore

2:0-Führung, zwei Drittel Ballbesitz: Werder Bremen wird sich nach dem Spiel selbst fragen, wie sie diese Ausgangsposition verschenken konnten. Denn auch nach dem Kieler Anschlusstreffer (45.) und dem Anpfiff zur zweiten Halbzeit änderte sich die Dynamik des Spiels kaum: Werder kontrollierte weiterhin Ball und Gegner, Kiel erhielt kaum Zugriff im Pressing. Doch Holstein Kiel nahm leichte Anpassungen am eigenen System vor: Ihre Außenverteidiger spekulierten nun auf Konter. Gerade Holsteins Linksverteidiger Fabian Reese positionierte sich sehr hoch. Er startete nach Ballgewinnen direkt hinter die Bremer Abwehr.

Werder Bremen spielte das zunächst in die Karten. Die Bremer nutzten die offenen Flügel für Angriffe: Bittencourt und Schmid wichen noch häufiger aus. Wie bereits vor der Pause rückte Kiels Doppelsechs nicht immer konsequent nach. Werder griff nun nicht mehr so stark über links an, sondern nutzte beide Seiten. Die Flanken führten fast immer zu Gefahr im Strafraum. Mit der Zeit gelang es Holstein Kiel jedoch, die eigenen Außenverteidiger besser zu nutzen. Gerade auf Werders rechter Seite stießen sie immer wieder durch. Reese positionierte sich hinter Weiser und nutzte dessen offensive Rolle aus. Aushilfs-Innenverteidiger Nicolai Rapp musste sich entscheiden: Herausrücken auf Reese? Oder den tief startenden Kwasi Okyere Wriedt verfolgen? Nicht immer traf er die richtige Wahl. So kam Kiel über die eigene linke Seite zu zwei Treffern.

In der Schlussphase mangelt es Werder Bremen gegen Holstein Kiel an Struktur: Ole Werners Matchplan in der Taktik-Analyse

Mit jedem Gegentreffer wurden die Angriffe von Werder Bremen wütender. Das ging zulasten der Struktur. Gerade die Räume im offensiven Mittelfeld blieben unbesetzt. Das Problem verschärfte sich nach den Einwechslungen von Nick Woltemade und Eren Dinkci (86., für Gruev und Agu). Werder hatte nun viele Offensivspieler auf dem Platz, scheute sich aber, über lange Bälle eine Chance zu erzwingen. Es fehlte Werder nun an Kontrolle über das Mittelfeld, um mit den gewünschten flachen Pässen vor das Tor zu gelangen. So bleibt am Ende eine bittere 2:3-Niederlage hängen. Bitter auch deshalb, weil Werder zum wiederholten Male in den vergangenen Wochen an der eigenen Chancenverwertung scheiterte. Sollte Werders Aufstieg noch misslingen, sind sie nicht an der Konkurrenz gescheitert – sondern an sich selbst.

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