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Das Derby als Spektakel: So kann Werder Bremen den „Walterball“ des HSV stoppen

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Von: Tobias Escher

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Auch aufgrund der ausgefeilten Taktik von Trainer Tim Walter gewann der HSV im Hinspiel mit 2:0 beim SV Werder Bremen.
Auch aufgrund der ausgefeilten Taktik von Trainer Tim Walter gewann der HSV im Hinspiel mit 2:0 beim SV Werder Bremen. © Imago Images / Noah Wedel

Bremen – Es ist nicht nur das emotionalste Spiel der Saison, es ist auch ein Spitzenspiel: Beim Nordderby zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV trifft der Tabellenerste auf den -zweiten. Der HSV wird wahrlich keine einfache Aufgabe für die Bremer, prognostiziert unser Taktikexperte Tobias Escher, er erwartet nichts weniger als ein Spektakel. Seine Analyse. 

Tim Walter hat etwas geschafft, was nicht viele Trainer von sich behaupten können. Auch ohne große Erfolge oder gar Titel wurde für die Art, wie der Coach des Hamburger SV Fußball spielen zu lassen, ein fester Begriff kreiert: „Walterball“. So nennen Taktikfüchse das Spielsystem des 46-Jährigen. Und in Hamburg möchte Tim Walter das schaffen, was ihm in Kiel und Stuttgart versagt blieb: Er will seinen „Walterball“ auch in der Ersten Liga aufführen - und auch an diesem Sonntag (13.30 Uhr, DeichStube-Live-Ticker) im Heimspiel gegen den SV Werder Bremen durchsetzen.

Aber was macht Walters Fußball eigentlich so besonders, dass ein eigener Begriff dafür erfunden worden ist? Das Spielsystem von Tim Walter setzt sich aus unorthodoxen Elementen zusammen. So stellt sich sein HSV auf dem Papier zwar in einem klassischen 4-3-3-System auf. Diese Formation lässt sich auf dem Feld aber allenfalls erahnen. Besonders macht das System des Hamburger SV, dass sich die Spieler ständig in Bewegung befinden. Mitspieler tauschen die Positionen miteinander, Stürmer lassen sich fallen und Verteidiger rücken nach vorne. Letzteres macht das System von HSV-Trainer Tim Walter so einzigartig: Nicht nur die Außenverteidiger rücken auf, auch die Innenverteidiger verlassen ihre Position. So sollen im Aufbau ständig neue Passwinkel geschaffen werden.

Das Nordderby als Spektakel: So kann Werder Bremen den Fußball des HSV-Trainers Tim Walter stoppen

Ein Beispiel: Wenn der mitspielende Torhüter Daniel Heuer Fernandes den Ball weit vor dem eigenen Strafraum hält, befindet sich die Viererkette des HSV ständig in Bewegung. Rechtsverteidiger Moritz Heyer rückt spontan ins Mittelfeld, während Innenverteidiger Mario Vuskovic nach rechts schiebt. Teilweise taucht sogar Zehner Sonny Kittel oder Außenstürmer Bakery Jatta im eigenen Abwehrdrittel auf. Das stete Ziel des Hamburger SV: Den Gegner verwirren, Gegenspieler aus der Ordnung ziehen und die Unordnung anschließend mit zielgenauen Pässen ins Mittelfeld ausnutzen. Auch gegen Werder Bremen im Derby.

So extrem die Walter‘schen Positionswechsel auf dem Papier klingen: Ganz so frei fließt das Spiel des Hamburger SV nicht, besonders wenn man es mit den vorherigen Trainerstationen von Tim Walter in Kiel und Stuttgart vergleicht. Das fällt besonders in der eigenen Viererkette auf: Die Spieler rücken meist nur ins Mittelfeld vor, nur selten in die Spitze. Den ganz großen Druck auf die letzte Linie des Gegners übt der HSV nicht aus. Die Verteidiger schaffen vor allem in der ersten Linie ständig Anspielstationen.

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Taktik-Analyse vor dem Derby: Wie Werder Bremen den Fußball von HSV-Trainer Tim Walter unterbinden kann

Der Nachteil: Der Übergang von der eigenen in die gegnerische Hälfte gelingt nicht immer. Häufig spielt der HSV das unorthodoxe Aufbauspiel recht orthodox aus, etwa mit Angriffen über die Flügel. Dass diese trotzdem gefährlich werden, liegt an Stürmer Robert Glatzel: Der Top-Torjäger des Hamburger SV erzielte fünf seiner 14 Treffer per Kopf, auch im beim 2:0-Hinspielsieg gegen Werder Bremen traf Glatzel auf diese Weise. 

Der Vorteil: Der Hamburger SV ist gut organisiert im Spiel gegen den Ball. Nach Ballverlusten setzen die Hamburger wuchtig nach. Waren gegnerische Konter zu Beginn der Saison noch eine Schwachstelle des HSV, sichern sie diese nun besser ab. Zumal die Ballsicherheit der Spieler meist verhindert, dass es überhaupt zu Ballverlusten kommt. Mit einem Ballbesitzwert von durchschnittlich 62 Prozent führt der HSV die Liga klar an - noch vor dem SV Werder Bremen. 

Die Bremer Mannschaft liegt mit durchschnittlich 57 Prozent Ballbesitz zwar auf dem zweiten Rang. Trotzdem dürften sie beim Auswärtsspiel im Volkspark weniger Ballbesitz haben als der Gegner. Das liegt an der deutlich riskanteren Spielanlage des SV Werder Bremen. Werder dürfte versuchen, die defensive Absicherung des Hamburger SV zu testen. Oft verteidigt der HSV im Eins-gegen-Eins. Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch werden im Konter probieren, das auszunutzen. Besonders Ducksch dürfte es wagen, über Ausweichbewegungen die Verteidiger des HSV herauszuziehen.

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Taktik-Analyse vor dem Derby: Werder Bremen dürfte im Volkspark weniger Ballbesitz haben als der HSV

Spannend wird vor allem die Frage sein, wie Werder Bremen defensiv den Hamburgern begegnen wird. In den vergangenen Wochen verteidigten die Bremer äußerst mannorientiert: Im eigenen 5-3-2-System verfolgten speziell die Mittelfeldspieler ihre Gegenspieler konsequent. Damit ließen sich auch gegen den HSV Anspielmöglichkeiten zustellen. Zugleich besteht die Gefahr, dass die Hamburger Angreifer die Bremer zu sehr aus ihren Positionen ziehen. Anschließend könnte der Hamburger SV die entstehenden Lücken bespielen.

Wenn beide Trainer an den Spielweisen der vergangenen Wochen festhalten, dürfen sich die 25.000 Fans im Hamburger Volksparkstadion, darunter 1.400 Gäste-Zuschauer, auf ein Spektakel freuen. Werder verfügt über die Geschwindigkeit, die Absicherung der Hamburger ernsthaft zu prüfen. Die Hamburger hingegen könnten die defensiven Lücken, die bei jeder mannorientierten Verteidigung entstehen, eiskalt ausnutzen. 

Wenn einer indes einen Trick kennt, um den „Walterball“ zu schlagen, dürfte dies Werder Bremens Coach Ole Werner sein. In Kiel war er während der Amtszeit von Tim Walter Trainer der zweiten Mannschaft, später übernahm er die Profis. Er kennt also dessen Spielstil nur zu gut.

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