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Taktik-Analyse: Niederlage in Kiel zeigt, an welchen Schwachstellen der neue Werder-Trainer ansetzen muss

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Von: Tobias Escher

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Die Taktik von Werders Interims-Interimstrainer Christian Brand ging in Kiel nicht auf. Holstein Kiel hatte das, was Werder Bremen möchte.
Die Taktik von Werders Interims-Interimstrainer Christian Brand ging in Kiel nicht auf. Holstein Kiel hatte das, was Werder Bremen möchte. © gumzmedia

Beim 1:2 in Kiel zeigt ausgerechnet der Gegner die Eigenschaften, die Werder Bremen zu einem Aufstiegskandidaten fehlen. Taktik-Kolumnist Tobias Escher analysiert die Partie.

In der vergangenen Woche erfuhr Danijel Zenkovic erst kurz vor dem Spiel, dass er als Cheftrainer an der Seitenlinie stehen wird. Er konnte die Mannschaft taktisch kaum mehr verändern. Wie viel Zeit Interims-Interimstrainer Christian Brand hatte, um die Mannschaft vorzubereiten, ist indes nicht überliefert, genauso wenig, wer die Taktik für das Spiel gegen Holstein Kiel zurechtgelegt hat. So oder so: Die neue Taktik ging bei der 1:2-Niederlage von Werder Bremen gegen Holstein Kiel kaum auf. Viel eher legte die Partie offen, an welchen Schwächen der nächste Bremer Coach wird ansetzen müssen.

Werder Bremen gegen Holstein Kiel mit einem neu formierten 4-4-2-System

Christian Brand stellte seine Mannschaft nicht mehr in einem 5-3-2-System auf, sondern in einem 4-4-2. Nominell starteten mit Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug zwei Stürmer in vorderster Linie. Einer der Beiden ließ sich jedoch meist fallen, um auf einer Höhe mit den Außenstürmern zu agieren. Meist übernahm Ducksch diesen Part. So sah das Spielsystem von Werder Bremen in der Praxis eher aus wie ein 4-2-3-1.

Auch Holstein Kiel begann mit einem 4-2-3-1-System, das sie jedoch äußerst flexibel interpretierten. In der Offensive zeichnete sich Kiel durch viel Bewegung aus. Sechser Lewis Holtby ließ sich immer wieder fallen, um den Spielaufbau aus der Tiefe anzukurbeln. Die Spieler vor ihm tauschten häufig die Positionen. So stieß Alexander Mühling häufig nach vorne, Rechtsaußen Fin Bartels war auch mal Linksaußen zu finden und Finn Porath tauchte sowieso überall auf dem Rasen auf.

So entstand in der ersten Halbzeit ein verqueres Bild: Die im Abstiegskampf befindlichen Kieler dominierten die Partie gegen Absteiger Werder Bremen. Die Viererkette ließ zusammen mit Holtby den Ball lange zirkulieren, ehe der Pass nach vorne gesucht wurde. Vor allem über die rechte Seite griffen die Kieler an. Hier agierte Rechtsverteidiger Phil Neumann äußerst offensiv. Er legte nicht nur das Führungstor durch Joshua Mees auf (45.), sondern gab auch die meisten Schüsse aller Kieler ab (vier). Nicht immer kam Werder hinterher, wenn die Kieler ihre Positionen tauschten.

Ungenaue Konter von Werder Bremen

Während Holstein Kiel Ballbesitz sammelte, trat Werder Bremen wie ein Außenseiter auf. Sie konzentrierten sich darauf, mit ihren Viererketten kompakt zu verteidigen. Offensiv wollten sie über Konter vor das Tor kommen. Dazu griffen sie hauptsächlich über die linke Seite an. Ducksch bewegte sich immer wieder auf den linken Flügel und suchte das Zusammenspiel mit Leonardo Bittencourt.

Werders Konterstrategie mangelte es an Wucht im Umschaltspiel. Selten kam Werder Bremen in eine Überzahlsituation. Weder die Doppelsechs noch Linksverteidiger Anthony Jung rückten konsequent nach. Bittencourt war häufig gezwungen, das Spiel zu verlangsamen. Rechtsaußen Eren Dinkci blieb bei den Angriffen meist außen vor.

Die Grafik zeigt das hohe Pressing der Kieler. Diese liefen die Bremer mannorientiert an. Je nachdem, über welche Seite Werder Bremen aufbaute, rückte Bartels oder Reese ins Zentrum, um den Druck auf Bremens Innenverteidiger zu erhöhen.
Die Grafik zeigt das hohe Pressing der Kieler. Diese liefen die Bremer mannorientiert an. Je nachdem, über welche Seite Werder Bremen aufbaute, rückte Bartels oder Reese ins Zentrum, um den Druck auf Bremens Innenverteidiger zu erhöhen. © DeichStube

Nicht nur das Umschaltspiel hakte. Auch im regulären Spielaufbau hatte Werder Bremen Probleme. Holstein Kiel störte die Bremer Viererkette mit einem hohen Pressing. Dahinter spielten die Gastgeber eine riskante Manndeckung. Sowohl die Außen- als auch die Innenverteidiger rückten immer wieder heraus, um ihre Gegenspieler zu verfolgen. Selten bis nie gelang es Werder, die äußerst mannorientierte Spielweise der Gastgeber auszunutzen. Selbst wenn Holtby einen Gegenspieler in die Abwehr verfolgte, fand Werder nicht die entstehenden Lücken im Mittelfeld. Einzig Ömer Toprak gelang es einige Male, mithilfe von Dribblings Verwirrung zu stiften.

Holstein Kiel hat das, was Werder Bremen möchte

Nach der Pause veränderte sich die Dynamik der Partie: Holstein Kiel zog sich mit der Führung im Rücken zurück, sie verteidigten nun raumorientierter in der eigenen Hälfte. Werder hingegen übernahm die Kontrolle. In der ersten Halbzeit hatte Kiel einen deutlich höheren Ballbesitzwert von 59%. In der zweiten Halbzeit drehte sich das Verhältnis, nun kam Werder Bremen auf 62%.

Die zweite Halbzeit legte in erster Linie offen, wie groß Werders Probleme im geordneten Spielaufbau sind. Sie konnten den Ball zwar gut zwischen den Verteidigern zirkulieren lassen. Nur selten kamen sie jedoch geordnet in die gegnerische Hälfte. So gab Werder nach der Pause weniger Torschüsse ab als vor der Pause, trotz (oder gerade wegen) eines deutlich höheren Ballbesitzwertes. Das Tor zum zwischenzeitlichen 1:1 fiel nach einem Patzer von Torhüter Thomas Dähne (57.), nicht nach einem gut herausgespielten Angriff. Es wurde vom schnellen Kieler Treffer zum 2:1 wieder zunichte gemacht (65.).

Christian Brand versuchte, seiner Mannschaft durch Wechsel neues Leben einzuhauchen. Zuerst besetzte er die Außenpositionen neu, Romano Schmid und Roger Assalé kamen für Bittencourt und Dinkci. Später rückte Schmid ins zentrale Mittelfeld, er sollte dort das Spiel ankurbeln. Bis zuletzt blieb Werder Bremen im 4-4-2-System, ohne sich nennenswerte Vorteile zu erarbeiten.

So bleibt am Ende ein trauriges Fazit. Ausgerechnet Gegner Holstein Kiel trat in der ersten Halbzeit so auf, wie sich das viele Werder-Fans vor der Saison erhofft hatten. Sie dominierten den Ballbesitz, ließen den Gegner laufen, eroberten mit ihrem hohen Pressing früh die Bälle. Werder Bremen bewies in der zweiten Halbzeit, dass es genau an diesen Stellen hakt. Möchte die Mannschaft doch noch etwas mit dem Aufstieg zu tun haben, muss der kommende Werder-Coach genau an diesen Schwachstellen ansetzen. (tbs) Schon gelesen? Trainersuche beendet: Wunschkandidat Werner unterschreibt bei Werder Bremen!

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