Agu-Berater Rehmer nimmt Werder-Führung in Schutz: „Die Fehler, die zum Absturz geführt haben, sind früher gemacht worden“

Berlin - „Ich bin ein Berliner!“ Marko Rehmer kann dies mit Recht von sich behaupten. In Ost-Berlin geboren, beim FC Union Berlin groß geworden, später in der Karriere bei Hertha BSC groß herausgekommen, lebt der 48-Jährige noch heute in der Hauptstadt. Der auch bei Hansa Rostock und Eintracht Frankfurt engagierte Defensivspieler, der es auf 225 Bundesligaeinsätze und 35 Länderspiele bringt, ist heute Geschäftsführer einer Spielerberatungsfirma, zu dessen Klienten der Bremer Neuzugang Felix Agu zählt. Der Vize-Weltmeister von 2002 verfolgt intensiv das Geschehen in der höchsten deutschen Spielklasse, vor allem seinen Ex-Klub Hertha. Im Gespräch mit der Deichstube analysiert Rehmer die richtungsweisende Partie im Olympiastadion gegen Werder Bremen, nimmt die Bremer Bosse Baumann und Bode in Schutz, spricht von Fehlern in der Vergangenheit, leidet mit den Pechvögeln Rashica und Füllkrug und lobt Ömer Torprak als Stabilisator der Defensive: „Ich hoffe für Werder, dass er gesund bleibt.“
Wann haben Sie zuletzt ein Einzelspiel live am TV geschaut, Marko Rehmer?
Am Samstag gucke ich immer die Konferenz, um umfassend informiert zu sein. Sonntags dann die Einzelspiele.
Dann haben Sie am Samstag des 16. Spieltages in der Schlussphase kräftig gejubelt im Fernsehsessel. Felix Agu, ein Spieler, den Sie beraten, hat bei seinem ersten Startelfeinsatz gleich ein Tor geschossen.
Es hat mich für ihn sehr gefreut. In seiner ersten Saison bei Werder hat er es bisher nicht leicht gehabt. Er war nah dran an der Mannschaft, als ihn eine Covid-Infektion lange zurückwarf. Felix, das sage ich nicht, weil er von meiner Agentur betreut wird, ist ein guter Junge, ein großes Talent.
Agus Tor machte den Deckel drauf beim 2:0 von Werder gegen Augsburg nach einer ganz miesen Partie. Wie sehen Sie die Entwicklung in Bremen?
Egal, wie das Niveau gewesen sein mag, Werder hat gewonnen. Das ist im Moment das Wichtigste. Und dies zeichnete die Bremer zuletzt aus im Vergleich zu den meisten Rivalen im unteren Drittel. Und am Dienstag in Mönchengladbach hat sich die Elf wesentlich besser präsentiert.
Endlich wieder mal ein Heimsieg für Bremen. Auswärts klappt es besser, in fremden Stadien wurden mehr Zähler geholt. Erstaunt Sie dies?
Es ist schon etwas kurios, doch es passt in die Zeit. Viele Mannschaften stehen defensiv ganz gut und kompakt, haben indes Probleme, ein eigenständiges Offensivspiel aufzuziehen. Dazu kommt noch, dass in Corona-Zeiten kaum noch von einem Heimvorteil gesprochen werden kann, wie allgemein die Resultate zeigen. Einziges Plus der Gastgeber: Die Reisestrapazen entfallen - und die Spieler befinden sich in der gewohnten Umgebung. Doch die Unterstützung der Fans wird überall vermisst.
Interview vor Werder Bremen gegen Hertha BSC: So bewertet Agu-Berater Marko Rehmer den Abstiegskampf
Werder Bremen befindet sich wie Hertha BSC in der unteren Tabellenregion. Wie bewerten Sie dies?
Diese Beschreibung ist schon mal eine Aussage. Die Berliner sind in der Tabelle weiter oben angesiedelt worden in allen Vorschauen von vielen Beobachtern, nicht zuletzt sprach auch die eigene Erwartungshaltung für eine bessere Platzierung. So wenige Punkte nach der Hinserie, es ist viel zu wenig für die eigenen Ansprüche. Hertha hat im Gegensatz zu Werder viel Geld investiert. Heraus gekommen ist bislang der Abstiegskampf.
Woran liegt dieses lang anhaltende Tief bei dem selbst ernannten Big-City-Club?
Es spielen viele Faktoren eine Rolle. Auch die Unruhe, die durch Jürgen Klinsmanns Abgang entstanden ist, sowie die Folgen der Pandemie und die damit verbundene undurchsichtige Situation auf dem Transfermarkt. Es sind die Nachwehen dieser Zeit, was sich auf die sportliche Lage ausgewirkt hat.
In einem Interview im Dezember haben Sie von der Qualität des Kaders gesprochen und die Hoffnung formuliert, dass im neuen Jahr ein Aufschwung eintritt. Es ist nicht geschehen. Warum aus Ihrer Sicht?
Im Team fehlen einfach die Typen, die auf dem Platz mal das Heft in die Hand nehmen. Viele der Hertha-Profis sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wenn es gut läuft, sind die meisten da. Doch wenn es schlecht läuft, tauchen alle ab.
Also keine Mannschaft?
Auf mich wirkt es momentan so. Als ich bei der Hertha spielte, wir zweimal den Liga-Pokal gewonnen und uns in der Champions League behauptet haben, war dies unser großer Vorteil: Wir waren eine Einheit, eine Truppe, die zusammenhielt. Das sehe ich aktuell nicht bei der Hertha: viele gute Spieler, doch keine Elf. Übrigens für mich der große Unterschied zum Stadtrivalen: Union Berlin ist das beste Gegenbeispiel, die Eisernen kämpfen füreinander, arbeiten nach hinten und haben tabellarisch nicht umsonst der Hertha den Rang abgelaufen.
Die Offiziellen bei Hertha hatten für den Januar eine Wende angekündigt. Nach dem Motto: Jetzt wollen und werden wir punkten. Ist der Umschwung geglückt?
Nein, es gab zwar den Sieg gegen Schalke, doch auch die beiden Niederlagen in Bielefeld und gegen Hoffenheim, wobei vor allem die Art und Weise des Auftritts auf der Alm missfiel. Nun folgt mit Werder ein weiteres richtungsweisendes Spiel. Es wird langsam Zeit. Berlin muss siegen, um sich aus dem unteren Drittel abzusetzen.
Müssen Manager und Trainer um ihre Jobs fürchten, wenn die Misere anhält?
Alle sitzen in einem Boot, also muss sich auch jeder hinterfragen. Ich kenne Michael Preetz ganz gut und weiß, dass er das auch tut. Bruno Labbadias tägliche Arbeit kann ich nicht einschätzen. Was ich mitbekomme, er ist sehr ehrgeizig, wie schon als Spieler. Doch die Mannschaft kommt einfach nicht von der Stelle. Die Ergebnisse sind nicht da. Und daran wird jeder Trainer gemessen. Wenn Hertha nicht die Kurve kriegt, werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. Es muss und wird etwas passieren – was auch immer.
Wie sehen Sie den Kampf ums Überleben in der Liga?
Ich glaube, dass Schalke da unten noch herauskommt. Königsblau wird nicht direkt absteigen, auch Werder wird sich retten können. Elf Punkte auf einem Abstiegsplatz sind nach einer Halbserie schon ein schönes Polster. Hertha muss aufpassen, doch ich erwarte, dass die anderen Clubs, die dort unten stehen, insgesamt größere Probleme haben werden.
Ex-Hertha-Profi Marko Rehmer über den Absturz von Werder Bremen: Die Fehler wurden früher gemacht
Zu Werder Bremen: Sind Sie enttäuscht von der Entwicklung, die dieser einstige Spitzenclub genommen hat?
Sicherlich, Bremen kann nicht mehr an die glanzvollen Zeiten anknüpfen. Doch die augenblickliche Lage liegt weniger an der jetzigen Generation. Ich halte die Führung um Bode, Baumann und Fritz für sehr kompetent. Doch was sollen sie machen? Die Situation ist nicht einfacher geworden durch die wirtschaftlichen Zwänge, nun noch verstärkt durch die Einnahmeverluste wegen der Pandemie. Die Fehler, die zum Absturz Werders geführt haben, sind früher gemacht worden. Auch zu erfolgreichen Zeiten, als manchmal zu teure Spieler gekauft worden sind.
Ein aktueller Spieler hat auch einen schönen Preis. Die Rede ist von Davie Selke, der bislang enttäuscht hat. Wie beurteilen Sie den früheren Berliner?
Selke ist ein Typ, der alles für die Mannschaft gibt, der sich bemüht, der immer arbeitet. Doch momentan ist er recht erfolglos. Wobei dazu gesagt werden muss, dass er kein Mann fürs Kombinationsspiel oder fürs Dribbling ist. Er ist ein reiner Strafraumstürmer, der auf Vorlagen und Flanken angewiesen ist. Die kamen zuletzt sehr selten, zumal Trainer Florian Kohfeldt mehr Wert auf Absicherung und Defensive gelegt hat. So sieht Selke meist nicht gut aus. Schon bei der Hertha hatte er nicht seine beste Phase. Die war eindeutig bei RB Leipzig, dort konnte er sich besser in Szene setzen.
Eine Frage an den gelernten Abwehrspieler und Innenverteidiger: Ist Ömer Toprak unverzichtbar?
Es sieht so aus. Wenn er fit ist, ist er der Stabilisator in der Abwehr. Er ist ein Routinier, der mit seiner Erfahrung auch die Jungen anleiten muss. Das gilt gerade für unseren Schützling Felix Agu, aber auch für einen Akteur wie Marco Friedl. Ich hoffe für Werder, dass Toprak gesund bleibt.
Was halten Sie von Milot Rashica?
Ein Ausnahmespieler, ganz gewiss. Einer, der mit seiner individuellen Klasse ein Spiel entscheiden kann. Gefährlich bei Standards und bei Eins-zu-eins-Situationen. Er hatte die Chance, in Gladbach den verdienten Ausgleich zu markieren, doch er traf leider nur den Pfosten.
Leiden Sie mit einem Pechvogel wie Niclas Füllkrug mit, der schon wieder verletzt mehrere Wochen ausfällt?
Füllkrug fehlt Werder auf jeden Fall. Erst der Kreuzbandriss, nun die Blessur am Sprunggelenk - er macht eine schwere Zeit durch. Werder könnte ihn in der Endphase der Spielzeit noch gut gebrauchen.
Hertha BSC gegen Werder Bremen – wer geht als Favorit ins Spiel?
Schwer zu sagen, für beide ist dieses Duell enorm wichtig. Das Hinspiel ging klar an die Berliner. Bremen wird nicht gerade mit breiter Brust ins Olympiastadion kommen, daher sehe ich Hertha trotz allem leicht favorisiert.