Vier Punkte für ein Halleluja: Das Aufstiegsrennen wird immer dramatischer - was jetzt alles für Werder spricht

Bremen – Mit seinen 123 Jahren ist der SV Werder Bremen längst kein Teenager mehr. Doch die Stimmungsschwankungen, die dieser Verein verursachen kann, nehmen mitunter grotesk pubertäre Züge an. Nach dem Schalke-Spiel gab es kollektiven Freudentaumel im Fan-Lager, dann sorgte die Kiel-Pleite von jetzt auf gleich für Entsetzen, Wut und seelischen Schmerz. Tagelang regierte auf den Straßen und im stillen Kämmerlein der Pessimismus, wenn es um Werder und das Thema Aufstieg ging. Dann kam der vergangene Freitag – und mit ihm der Sieg von Fortuna Düsseldorf gegen Darmstadt 98. Seither sind die Grün-Weißen wieder ganz dick im Geschäft, haben ohne eigenes Zutun doch wieder alles in der eigenen Hand.
Soll heißen: Wenn Werder Bremen aus den letzten beiden Spielen gegen Erzgebirge Aue (Sonntag, 13.30 Uhr, DeichStube-Liveticker) und Jahn Regensburg (Sonntag, 15. Mai, 15.30 Uhr) insgesamt vier Punkte holt, dann kann in den anderen Stadien passieren, was will – die direkte Rückkehr in die Bundesliga wäre perfekt. Doch noch. Halleluja! Es wäre die nächste irrwitzige Wendung im Bremer Gefühls-Chaos. Aber der Weg bleibt ein weiter. Trotzdem gibt es gute Gründe, die für Werder sprechen.
Das Personal
Die Rückkehr von wichtigen Spielern wird gern mit dem Zusatz „rechtzeitig“ garniert. Am Osterdeich müsste eigentlich eine Steigerung gelten, denn „rechtzeitiger“ kann das Comeback des Bremer Defensivtrios kaum sein. Abwehrchef Ömer Toprak, Nebenmann Milos Veljkovic und Sechser Christian Groß sind alle wieder fit und Kandidaten für die Startelf, was deren Qualität mit Nachdruck anhebt. Das Dreiergespann soll der Mannschaft jene Struktur und Sicherheit verleihen, die zuletzt gegen Kiel nach einer 2:0-Führung mehr und mehr verloren gegangen war. Das hat schon über weite Strecken der Saison bestens funktioniert – und könnte nun ein ganz entscheidender Faktor im Aufstiegsrennen werden.
Werder Bremen hat den Bundesliga-Aufstieg wieder in der eigenen Hand
Die Werner-Bilanz
Woche für Woche beweist diese zweite Liga, dass Ergebnisse nicht planbar sind. Nichtsdestotrotz ist Werder Bremen klarer Favorit, denn Erzgebirge Aue steht bereits als Absteiger fest und hat überhaupt nur fünf Partien gewonnen. Die Sachsen sind nach dem jüngsten 0:6 gegen Darmstadt um Wiedergutmachung bemüht, der verletzte Kapitän Martin Männel betont: „Wir müssen das Gesicht wahren.“ Da ist viel Druck im Spiel, ein ganzer Verein steht am Scheideweg. Und ausgerechnet jetzt reist in Ole Werner ein gegnerischer Trainer an, dem Aue so richtig liegt. In fünf Spielen ist der 34-Jährige noch ungeschlagen (vier Siege, ein Remis) und hofft, dass das auch so bleibt: „Ich würde mich natürlich freuen, wenn die insgesamt positive Bilanz weiter ausgebaut werden könnte.“
Der Tunnel
Eine große weiße Plane macht unmissverständlich klar, dass Veränderungen notwendig sind. Dort, wo Werder Bremens Profis sonst trainieren, ist reichlich Rasen und Erde abgetragen worden, ein neues Geläuf wird angelegt. Da auch der Platz nebenan gelitten hat und die anderen Felder verschmäht werden, haben sich die Bremer vier Tage lang im Weserstadion vorbereitet. Ohne störende Blicke und Einflüsse von außen, dafür mit der größtmöglichen Konzentration. Und Ole Werner vermittelt glaubwürdig, dass seine Spieler ganz genau wissen, worum es geht: „Wir wollen das Spiel gewinnen und dafür braucht es nun einmal Tore, Lösungen, um zu Chancen zu kommen und Effektivität. Darauf liegt unser Fokus.“ Am Sonntag geht es wieder raus aus dem Tunnel, mit voller Kraft Richtung drei Punkte. Also im Idealfall. Werner ist sich aber sicher: „Wir sind heiß ohne Ende.“
Die Wiederauferstehung des SV Werder Bremen: „Wir tun gut daran, wenn wir auf uns schauen“
Die Rückschläge
Für zusätzliche Zuversicht sorgt bei Werders Trainer der Blick in den Rückspiegel. Den absolviert er eigentlich eher ungern, doch wenn derart Positives gezeigt wird, macht auch Ole Werner eine Ausnahme. Es gab schließlich schon einige Phasen, in denen seine Mannschaft abgeschrieben wurde. Damals, als er sie im Niemandsland der Tabelle übernommen hat etwa, um dann – ebenfalls gegen Aue – die Trendwende einzuleiten. Später schwächelten die Bremer in ungünstigen Momenten, ließen wichtige Zähler liegen und kamen doch stets wieder zurück. Im Nordderby gegen den HSV oder auf Schalke bügelten sie vorherige Rückschläge aus. Nach der Kiel-Tristesse und der Düsseldorfer Steilvorlage besteht nun die Gelegenheit zur nächsten Wiederauferstehung. Vermutlich ist es die letzte. Dass die Mannschaft weiß, wie es funktioniert und nicht nur davon träumen muss, ist ein enormer mentaler Vorteil.
Die Konkurrenz
Seit Wochen betonen sie bei Werder Bremen: „Wir tun gut daran, wenn wir nur auf uns schauen.“ Meist sagt Clemens Fritz, Leiter Profifußball, diesen Satz. Dann wahlweise Ole Werner oder Sportchef Frank Baumann. Mit dieser Marschroute sind die Bremer bislang ganz gut gefahren. Mittlerweile geht der Blick aber auch über den Tellerrand hinaus. Denn auch dieser Spieltag hat bewiesen: Andere Vereine haben ebenfalls so ihre Problemchen. Klar ist lediglich, dass Schalke 04 den Aufstieg dank eines spektakulären 3:2-Erfolgs am Samstagabend gegen den FC St. Pauli vorzeitig perfekt gemacht hat. Es wäre fraglos zu gefährlich, sich auf Strauchler der Konkurrenz zu verlassen, doch selbstverständlich haben sie bei Werder wohlwollend registriert, was da am Freitag in Düsseldorf passierte. Zumal mit dem HSV, der eigentlich auch schon abgeschrieben war, nun wieder ein anderer Verein auf den wichtigen Plätzen mitmischt. Weil andere es zuließen. Das verspricht einen Endspurt mit enormer Spannung und viel Leidensfähigkeit: „Da passiert in der Regel noch mal etwas Verrücktes“, hat auch Ole Werner erst kürzlich gesagt. Seine Elf kann mit nur vier Punkten als Gewinner aus diesem ganzen Hin und Her hervorgehen. Klingt ganz einfach. Aber was war für Werder in dieser Saison schon einfach? (mbü)