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Sehnsucht nach dem Meer? Dann sollten Sie Dörte Hansens Roman „Zur See“ lesen

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Von: Sven Trautwein

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Dörte Hansens erste beiden Romane waren ein großer Erfolg. „Mittagsstunde“ läuft gerade als Verfilmung in den Kinos. Knüpft das dritte Buch „Zur See“ an die Vorgänger an?

Rau und stürmisch ist es an der See. Den Rhythmus eines Inseltages geben die Fähren vor. Wenn die Sommermonate weg sind, ist es etwas ruhiger in Dörte Hansens „Zur See“, doch mittlerweile bleiben auch viele Gäste über die Wintermonate. Die ehemals von Insulanern bewohnten Reetdachhäuser schauen leer in die Gegend. Nur wenige Wochen im Jahr von den finanzstarken Käufern bewohnt. Alles ändert sich. Zu Waljagd fährt niemand mehr. Stattdessen versucht man, mit Ferienwohnungen Geld zu verdienen.

Dörte Hansen „Zur See“: Über das Buch

Cover zum Roman „Zur See“ von Dörte Hansen
Macht Lust aufs Meer: „Zur See“ von Dörte Hansen © Hartenfelser / Imago / Penguin Randomhouse

Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.

Penguin Randomhouse

Bücher norddeutscher Autoren, wie beispielsweise „Ein Sommer in Niendorf“ von Heinz Strunk, haben ihre ganz eigene Stimmung. Und selten ziehen sie einen gleich in das Geschehen hinein, bauen Spannung auf, wie man es eigentlich nur aus einem guten Thriller kennt. Der Leser wird mitgenommen und lernt zu Beginn einen nicht frierenden Decksmann kennen. Das „richtige“ Frieren lernt man an der Küste. Das können die Sommerurlauber nicht, die mit ihren Allwetterjacken und teuren Wanderschuhen an der Strandpromenade entlanglaufen.

Auf einer Inselfähre, irgendwo in Jütland, Friesland oder Zeeland, gibt es einen, der die Leinen los- und festmacht, und immer ist er zu dünn angezogen für die Salz- und Eisenkälte eines Nordseehafens. Falls er an Herbst- und Wintertagen eine Mütze trägt, bedeckt sie keinesfalls die Ohren. Handschuhe trägt er nie. (…) Und immer sieht die Jacke, die er trägt, so aus, als hätte sie den Ahnen schon gehört.

Penguin Randomhouse – Leseprobe aus „Zur See“

Zuerst fällt auf, dass die Kapitel nahezu ohne wörtliche Rede auskommen. Ein wenig wie das Klischee der Norddeutschen, die nicht so viel reden. Die Geschichte der alteingesessenen Familie Sander, der Einblick in das Familienleben, in dem jeder sein Päckchen zu tragen hat und teilweise dem Alkohol verfällt, lässt mitfühlen und innehalten. Innehalten, bis es kurz und knapp, manchmal ausschweifender, in den Beschreibungen der Autorin weitergeht.

Der Inselroman „Zur See“ weckt die Sehnsucht nach Meer. Es zeigt eine Welt, die es so nicht mehr gibt und nur noch in den Erinnerungen früherer Generationen weiterlebt. Die Insel ist kaum noch Heimat der dort Geborenen. Am Beispiel der Insel Sylt kann man sehen, dass es kaum noch Einheimischen Platz bietet. Der Ausverkauf hat längst begonnen.

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Dörte Hansen „Zur See“: Mein Fazit

Es ist die Liebe zur See, die jede Zeile des Buches ausmachen. Als Exil-Nordfriese habe ich das Buch mit großer Freude gelesen, es ist eine Art „Heimatgefühl“, die mich bei den Seiten packte. Wer auf der Suche nach einem Sehnsuchtsort am Meer ist, kommt dem mit diesem Buch ein ganzes Stück näher. Nicht nur für eingefleischte Meer-Fans ein Muss und für mich das beste Buch des Herbstes.

Dörte Hansen „Zur See“

2022 Penguin Randomhouse, ISBN-13 978-3-328-60222-4

Preis: Hardcover 24 €, E-Book 19,99 €, 256 Seiten (abweichend vom Format)

Dörte Hansen

Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, arbeitete nach ihrem Studium der Linguistik als NDR-Redakteurin und Autorin für Hörfunk und Print. Ihr Debüt „Altes Land“ (werblicher Link) wurde 2015 zum „Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels“ und zum Jahresbestseller 2015 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Ihr zweiter Roman „Mittagsstunde“ (werblicher Link) erschien 2018, wurde wieder zum SPIEGEL-Jahresbestseller und mit dem Rheingau Literatur Preis sowie dem Grimmelshausen Literaturpreis ausgezeichnet. Dörte Hansen, die mit ihrer Familie in Nordfriesland lebt, ist Mainzer Stadtschreiberin 2022.

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