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Brexit-Kernfrage: Was Sie über den „Backstop“ wissen müssen

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Brexit-Kernfrage „Backstop“: Irland-Nordirland-Grenze
Brexit-Kernfrage „Backstop“: Irland-Nordirland-Grenze © dpa / Mariusz Smiejek

Der sogenannte „Backstop“ ist der Knackpunkt der Brexit-Verhandlungen. Es geht um die wichtige Grenze zwischen Irland und Nordirland.

London/München - Ob es am 29. März zu einem ungeregelten Brexit kommt, ist nach wie vor unklar. Die wohl größte Hürde für die Verabschiedung eines Brexit-Abkommens ist der sogenannte „Backstop“. 

Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff „Backstop“ im Deutschen Absicherung oder Schutz. Beim Brexit ist damit ein Sicherheitsnetz für die irische Insel gemeint. Denn dort entsteht durch den Austritt Großbritanniens aus der EU eine neue Außengrenze. Sie verläuft zwischen Nordirland, das zum Vereinigten Königreich und damit ab März nicht mehr zur EU gehört, und dem EU-Mitgliedsstaat Irland. 

Lesen Sie auch: Über die Abstimmung im britischen Unterhaus über das Brexit-Abkommen berichten wir im Live-Ticker.

Brexit-“Backstop“: Grenzkontrollen und Schlagbäume sollen in Irland vermieden werden 

EU-Außengrenzen sind normalerweise durch Waren- und Personenkontrollen gut gesichert. Auch Schlagbäume und Grenzzäune werden aufgestellt. Eine solche Grenze wollen London und Brüssel auf der irischen Insel aber unbedingt vermeiden. Der Grund dafür liegt in der Geschichte des Inselstaats: In Nordirland tobte bis in die 1990er-Jahre ein Bürgerkrieg zwischen Katholiken, die für die Wiedervereinigung mit Irland kämpften, und probritischen Protestanten. Tausende Menschen kamen dabei zu Tode.

Bis zum Ende der 90er-Jahre war die Grenze auf der Insel mit Wachtürmen und schwerbewaffneten Soldaten abgesichert. Heute ist die Trennlinie kaum mehr sichtbar. Zudem wurden im April 1998 die verfassungsmäßigen Bestimmungen des irischen Friedensschlusses festgelegt. Im sogenannten Karfreitagsabkommen ist rechtlich verankert, dass Großbritannien, Nordirland und die Irische Republik dafür sorgen müssen, dass es keine harte Grenze mehr zwischen der Irischen Republik und Nordirland geben werde.

Sollte Großbritannien ohne Abkommen aus der EU austreten, wäre eine harte Grenze quer durch Irland jedoch die Konsequenz. Politiker und andere Experten sorgen sich, dass eine solche harte Grenze erneut zu Unruhen führen könnte. 

Der „Backstop“ wäre ein Notmechanismus im Rahmen des Brexits

Damit es dazu nicht kommt, wollen viele EU-Politiker einen „Backstop“ durchsetzen. Diese Regelung wäre ein Notmechanismus für den Fall, dass sich die britische Regierung und die EU in der Übergangsphase nach dem Brexit-Stichtag nicht rechtzeitig auf ein Freihandelsabkommen einigen. Bis Ende 2020 solle Großbritannien in diesem Fall vorerst weiter Teil der EU-Zollunion und des europäischen Binnenmarkts bleiben. In dieser Übergangszeit sollen gemeinsame Regeln und Standards im Rahmen des Freihandelsabkommens zwischen Großbritannien und der EU festgelegt und damit Grenzkontrollen auf Dauer überflüssig gemacht werden.

Gelingt dies nicht, würde der „Backstop“ bewirken, dass Großbritannien als Ganzes weiter in der EU-Zollunion bleibt, bis sich beide Seiten auf eine dauerhafte Lösung einigen können. Somit wäre eine harte Grenze auf der irischen Insel ausgeschlossen und uneingeschränkter Handel in Irland quasi gewährleistet. Es müsste lediglich geprüft werden, ob einzuführende Waren den Qualitätsvorgaben des EU-Binnenmarktes entsprechen. Der „Backstop“ würde allerdings auch festlegen, dass die notwendigen Kontrollen nicht an der inneririschen Grenze, sondern zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs stattfinden würden.

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Brexit: Viele Hardliner sind gegen den „Backstop“

Einige Brexit-Befürworter und vor allem die Brexit-Hardliner sind mit dem „Backstop“ jedoch nicht einverstanden. Denn er ist zeitlich unbefristet und kann nicht einseitig aufgekündigt werden. Brexiteers befürchten deshalb, dass Großbritannien langfristig an die EU gebunden bleiben könnte. Das würde auch bedeuten, dass Europagegner in Großbritannien einige ihrer zentralen Versprechen nicht einlösen könnten. Beispielsweise müsste sich London weiter an EU-Gesetze halten und dürfte nicht im Alleingang Freihandelsabkommen mit anderen Ländern abschließen. Zudem haben einige Briten Angst um die Einheit Großbritanniens. Vor allem für die nationalkonservative DUP (Democratic Unionist Party), Mays Bündnispartner aus Belfast, kommt eine Sonderregelung für Nordirland eigentlich nicht infrage. 

In dem Austrittsabkommen, das Premierministerin Theresa May bisher erfolglos im Parlament durchzusetzen versucht, wäre der „Backstop“ derzeit enthalten. Zuletzt verabschiedeten die Tories im britischen Unterhaus einen Antrag zum „Backstop“. Darin fordern sie die Regierung auf, die Regelung mit Brüssel erneut zu verhandeln. Mays Deal werde nur zugestimmt, wenn der „Backstop“ durch „alternative Maßnahmen“ ersetzt werde. 

Damit es zwischen Irland und Nordirland nicht zu Grenzkontrollen kommt, müsste eine „Backstop“-Regelung eingeführt werden.
Damit es zwischen Irland und Nordirland nicht zu Grenzkontrollen kommt, müsste eine „Backstop“-Regelung eingeführt werden. © picture alliance/dpa / Peter Morrison

May unterstützt den „Backstop“-Antrag der Tories

Die Premierministerin hat den „Backstop“-Antrag unterstützt. Doch die Zeit bis zum Brexit-Datum drängt, weshalb die britische Regierung eine Arbeitsgruppe alternative Regelungen prüfen lässt. May will dann in Brüssel eine Änderung des Brexit-Abkommens erwirken. Irland zeigte sich bereits offen für Alternativen zu der umstrittenen „Backstop“-Garantie. Bislang gebe es jedoch keine praktikablen Vorschläge, sagte Außenminister Simon Coveney in Brüssel.

Die mit konservativen Abgeordneten besetzte britische Arbeitsgruppe prüft unter anderem Vorschläge, die irische Grenze mit technologischen Mitteln zu überwachen. Diese sollen physische Kontrollen ersetzen. Zum Beispiel sollen Zollerklärungen online erfolgen und die Grenze mit Sensoren überwacht werden. 

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EU-Vertreter zeigen sich beim Brexit-„Backstop“ unnachgiebig

Es gehe in der Arbeitsgruppe aber auch um Methoden, die noch nicht bei den Brexit-Verhandlungen erwogen worden seien, sagte Brexit-Befürworter Marcus Fysh der BBC. Thema solle auch der sogenannte Malthouse-Kompromiss sein, der statt des „Backstops“ eine längere Übergangsphase nach dem Brexit vorsieht.

Die Vertreter der EU zeigen sich in der Nordirland-Frage bisher aber unnachgiebig und das wohl auch zurecht: Eine Regelung, bei der sich Großbritannien nicht an EU-Vorgaben halten muss, Waren jedoch unkontrolliert in die EU fließen, wäre vor allem für Brüssel ein Nachteil. Denn nach einem harten Brexit wären die Standards in der EU vermutlich höher als in Großbritannien.

dpa, cia

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