Verfassungsschutz beobachtete auch Grünen-Mitarbeiterin

Hannover - Der Verfassungsschutz in Niedersachsen hat nach der verbotenen Beobachtung von Journalisten eingeräumt, auch eine Grünen-Mitarbeiterin widerrechtlich ins Visier genommen zu haben. Innenminister Boris Pistorius (SPD) kündigte am Freitag an, die Arbeit der Behörde auf den Prüfstand zu stellen.
Von kommender Woche an sollten alle zu rund 9.000 Personen in Niedersachsen gespeicherten Datensätze unter die Lupe genommen werden. „Ich bin fast sprachlos über das Vorgehen in der Behörde und muss konstatieren, dass ich entsetzt bin über den Zustand, in dem sie die alte Landesregierung uns überlassen hat“, sagte Pistorius.
Wie Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger mitteilte, wurden über Jahre Informationen zu Julia Amthor, einer Mitarbeiterin der grünen Landtagsabgeordneten Julia Willie Hamburg, gesammelt. Anlass sei die Teilnahme an Demonstrationen des linken Lagers gewesen. Dieser Umstand alleine rechtfertige aber keine Speicherung von Daten.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Helge Limburg erklärte, Amthor habe unter anderem an Protesten gegen Castor-Transporte und Nazi-Aufmärsche teilgenommen. Der Fall belege, das Ex-Innenminister Uwe Schünemann (CDU) den Verfassungsschutz instrumentalisiert habe, um gegen Personen aus dem politisch linken Spektrum vorzugehen.
„Ich kann nicht nachvollziehen, warum ich ins Visier des Verfassungsschutzes geraten bin. Mein demokratisches Engagement unterscheidet sich nicht von dem zahlreicher anderer Mitglieder der Grünen und der Grünen Jugend“, sagte die Fraktionsmitarbeiterin. Sie war von Brandenburger selbst über die Speicherung der nun zunächst gesperrten Daten informiert worden. Wie Limburg sagte, gelten Mitarbeiter der Abgeordneten zu Berufsgeheimnisträgern. „Das zeigt, dass der Fall eine besondere Qualität hat.“
„Es zeigt wieder einmal, dass der Verfassungsschutz in seinem jetzigen Zustand, wie wir ihn finden, so nicht weiter arbeiten kann“, sagte Pistorius. Gesetzänderungen seien in Vorbereitung und die Überprüfung der Datensätze von Brandenburger veranlasst worden. Die Verfassungsschutzpräsidentin erklärte, in den vergangenen Wochen seien bereits mehrere hundert Datensätze überprüft worden. Neben sieben Journalisten und der Grünen-Mitarbeiterin seien einige weitere Zweifelsfälle entdeckt worden. „Ich kann deshalb nicht ausschließen, dass es weitere Fälle gibt.“
FDP-Fraktionsvize Stefan Birkner bezeichnete die rechtswidrige Speicherung von Daten als inakzeptabel und forderte schnelle Aufklärung. „Richtig ist aber auch: Mit jedem neuen Fall stellt sich die Frage, was die jetzige Verfassungsschutzchefin gewusst hat. Schließlich arbeitet sie bereits seit Jahren in der Behörde“, sagte Birkner. CDU-Fraktionschef Björn Thümler warf Brandenburger vor, mit ihrer Aufgabe überfordert zu sein. dpa