1. az-online.de
  2. Niedersachsen

Sprachinseln im platten Land Teil 2

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Kleine Schritte: Das Saterland besinnt sich mehr und mehr auf seine Kultur.

 „Für die Gemeinde ist die Sprache ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt Wilhelm Hellmann, Erster Gemeinderat. Das Provinzielle wird zum Aushängeschild: Seit 2001 wirbt das Saterland mit zweisprachigen Ortsschildern. „Skäddel“, „Strukelje“, „Roomelse“ und „Seedelsbierich“ sollen Touristen nach Scharrel, Strücklingen, Ramsloh und Sedelsberg locken. Geschützt durch die „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“, wird hin und wieder ein Paar auf Saterfriesisch getraut, alle zwei Wochen gibt es sonntags Bürgerradio in der Heimatsprache, Pfarrer Hubert Moormann liest bisweilen die Messe auf Saterfriesisch. Und wer an die Tür des Bürgermeisters klopft, den empfängt das Schild: „Hier wät uk Seeltersk baald“ – hier wird auch Saterfriesisch gesprochen.

null

Doch kommt das nicht alles zu spät? „Marron Fort hat uns erst klar gemacht, welch wichtige Sache wir hier haben“, sagt Lehrerin Evers. Kaum jemand hielt das Saterfriesische für erhaltenswert. Bis der eingebürgerte Amerikaner, der „etwas andere Ostfriese“ (Fort über Fort), über einige Umwege in den hohen Norden kam und mit dem Blick von außen die Menschen für ihre Wurzeln sensibilisierte.

Ein aus Brandenburg stammender Deutschlehrer hatte dem Musterschüler einst prophezeit, aus ihm einen Preußen zu machen. Aufs Aussehen käme es nicht an. Keine Widerrede: Fort vertieft sich mit preußischen Tugenden – pünktlich, höflich und fleißig – in Studien der Germanistik. An der US-Eliteuniversität Princeton will er seine Doktorarbeit über „Geschlechtsschwankungen im Höchstalemannischen“ schreiben. Aber das Thema ist schon vergeben. Fort stößt bei seinen Recherchen stattdessen auf plattdeutsche Mundarten in Vechta. Er wird zum Experten des Niederdeutschen. Amerika kehrt er den Rücken, wird Professor in Oldenburg, entdeckt die Region. Mitte der 60er Jahre verspricht er bei der Feldforschung vor Ort – Tee trinken mit dem Pastor, Doornkaat in der Dorfkneipe –, ein Saterfriesisches Wörterbuch herauszugeben. Kommendes Jahr erscheint die zweite Auflage.

„Niemand spricht so sauber und gut Saterfriesisch wie Fort“, weiß nicht nur Gemeinderat Hellmann. Erst Fort war es, der aus der gesprochenen auch eine Schrift-Sprache gemacht hat – mit klaren Regeln und Hinweisen zur Aussprache. Gut 35.000 Begriffe umfasst das neue Wörterbuch. Nie zuvor hatte sich jemand so ausführlich die Mühe gemacht, die Sprache zu dokumentieren. Fort übersetzte zudem das Neue Testament ins Saterfriesische und schrieb einige Heimatbücher.

null
An der "Litje Skoule Skäddel" findet die Arbeitsgruppe "Saterfriesisch" wenig Anklang. Englisch geht vor, und Saterfriesisch in der sechsten Stunde ist wenig attraktiv.

Wenn Fort, Evers und andere Ehrenamtliche vehement für den Erhalt ihrer Sprache eintreten, dann setzen sie bei der Jugend an. Wer nicht schon als Kind Saterfriesisch spricht, lernt es in der Regel nie. Zu kompliziert ist die Sprache sogar für viele, die bereits Plattdeutsch sprechen. Fort selbst ist das leuchtende Gegenbeispiel. In nur wenigen Tagen hat er sich als Erwachsener Saterfriesisch beigebracht, überraschte die skeptischen Dorfbewohner bei seinen ersten Besuchen mit perfekten Kenntnissen. „Heute bin ich wohl der Einzige, der noch ostfriesisches Platt und Saterfriesisch spricht.“ Doch das selbst ernannte „Schmalspur-Sprachgenie“ Fort kann kaum der Maßstab sein: Altisländisch, Italienisch, Spanisch, Französisch, Holländisch und Arabisch sind einige der Sprachen, die der 71-Jährige fließend spricht.

„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Was Antoine de Saint-Exupéry in seinem Roman dem „kleinen Prinzen“ vom schlauen Fuchs als Lebensweisheit mit auf den Weg geben lässt, gilt auch für das Saterland: „Man sjucht bloot mäd dät Haad goud. Dät Upperste is foar do Ogene nit tou sjoon.“ So steht es in der Übersetzung der 74-jährigen Gretchen Grosser. So lange die Menschen im Saterland ihre Heimatsprache nicht in ihren Alltag aufnehmen, so lange bleibt kaum Hoffnung auf Rettung. „Das Problem, mit einer konservativen Sprache in unserer heutigen Zeit zu arbeiten, wird überschätzt“, sagt Fort. Der Alltag lasse sich sehr gut bewältigen. Und für Begriffe wie Abwrackprämie, Finanzkrise oder Computertechnologie fänden sich schon gute Beschreibungen. Lehrerin Evers setzt sich deswegen für eine Sprachkonferenz ein, die das Saterfriesische aktualisiert. Der wichtigste Schritt muss jedoch auch in den Köpfen der Menschen im Saterland eine Herzenssache werden: Sie müssen ihre Sprache sprechen. Fort: „Ich kann die Sprache nur auf dem Papier retten. Das ist meine Lebensaufgabe. Reden muss das Saterland selbst.“

Hier geht's zurück zu Teil Eins

Teil Eins

Auch interessant

Kommentare