Dass es zu regelmäßigen Polizeieinsätzen auf dem Gelände kommt, räumte der Landrat indes ein. „Unter den Einsätzen wurde in den Jahren 2021 und 2022 unter anderem ein Sexualdelikt vermerkt.“ Bei den regelmäßigen Einsätzen gehe es in der Regel um Ruhestörungen oder Sachbeschädigungen. Für diese Streitigkeiten ist laut Kreis der Sicherheitsdienst zuständig. „Dieser ist jedoch im Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern hochsensibel, sodass auch niedrigschwellig die Polizei hinzugezogen wird.“ Umfangreiche Konzepte zur Aufklärung, Frauencafés in unterschiedlichen Sprachen, Kurse, abschließbare Räume, Fächer, Duschen und Toiletten sollen den Schutz der Frauen sicherstellen – genauso wie getrennte Wohneinheiten, umfangreiche Kontrollen und eine enge Betreuung der Bewohner in Lessien.
Die von den Frauen geschilderten Vorwürfe seien bislang nie an die vielen ehrenamtlichen Helfer, Mitarbeiter oder das Wachpersonal herangetragen wurden, bekräftigte der Kreis. Trotz intensiver Begleitung der Bewohner durch viele Vertrauenspersonen habe es nie Andeutungen dieser Art gegeben. „Aber niemand will die Wahrnehmung der Frauen anzweifeln, wir werden das aufarbeiten“, sagte Heilmann am Mittwoch. Doch aus Sicht der Kreisverwaltung wurden in dem TV-Bericht die Sachverhalte verkürzt und unzureichend dargestellt und Gesprächsantworten aus dem Zusammenhang gerissen.
Sieben Frauen, die im Camp Lessien wohnen, berichten gegenüber dem NDR von Angst vor Männern, die ebenfalls dort untergebracht sind. „Bist Du alleine, bist Du verheiratet?“ – das soll eine wiederholt gestellte Frage sein. Eine Bewohnerin berichtet von einem Vergewaltigungsversuch. Eine andere sagt: „Ständig ist die Polizei da.“ Das ist bemerkenswert – denn regelmäßige Einsätze im Camp Lessien tauchen im Polizeibericht üblicherweise nicht auf.
Landrat Tobias Heilmann muss in dem Beitrag einräumen, dass es „Schwarz auf Weiß“ kein Schutzkonzept für das Camp gebe – ein solches wird vom Flüchtlingsrat Niedersachsen für Aufnahmeeinrichtungen gefordert. Das Land Niedersachsen hat Mindeststandards festgelegt – die gelten allerdings nur für Aufnahmezentren, die das Land betreibt, und nicht für kommunale Einrichtungen. Unter anderem verfügt das Land in seinem Konzept, dass alle Zimmer abschließbar sein sollen, gleiches gilt für die Duschräume der Frauen.
Der NDR zeigt auch ein Video einer Bewohnerin, auf dem zu sehen ist, wie offenbar betrunkene Männer Frauen auf einem Flur bedrohen. Die Security scheint dabei überfordert. Die Vorwürfe der Frauen gehen sogar noch weiter: Die vom Landkreis beauftragten Sicherheitskräfte seien Teil des Problems, auch von ihnen gehe Drangsalierung aus. Die Security weise die Vorwürfe zurück, heißt es in dem Bericht.
Erste Reaktionen kamen postwendend. So fordert der Kreistagsabgeordnete Andreas Kautzsch (B.I.G.) den Landrat auf, die Sachverhalte „offen und mit dem nötigen Respekt aufzuklären“. Zudem brauche es die „kurzfristige Aufstellung eines umfangreichen Maßnahmenpaketes zur Sicherstellung der Sicherheit von allen Bewohnern“.
Die AfD fühlt sich derweil bestätigt: Man habe am 11. Mai im Kreistag den Antrag eingebracht, „über die Situation vor Ort zu reden und nicht die Fehler aus 2015 zu wiederholen“. Die CDU habe die Absetzung des Antrags von der Tagesordnung gefordert, SPD und der Landrat hätten sich „nur zu gerne angeschlossen“. Nun wolle man den Antrag im Juni erneut stellen.
* Inzwischen ist - seit etwa 12 Uhr - die Pressekonferenz des Landkreises beendet. Bevor eine Stellungnahme der Kreisverwaltung publik gemacht werden soll, will diese zunächst heute Nachmittag den Kreisausschuss und damit die Kreispolitik informieren - eine bemerkenswerte Kommunikationsstrategie.