Als die Städte noch dunkel waren
Tangermünde. Nachtwächter, die in größeren Städten für Ruhe und Ordnung in den dunklen Straßen und Gassen sorgten, gab es schon im Mittelalter.
Ausgerüstet mit einer Stangenwaffe (Hellebarde), einer Laterne und einem Ruf-Horn gingen sie nachts mehrmals durch die Stadt und schützten und warnten die Bürger damit vor Dieben, Feinden und Feuer. Sie achteten auf verschlossene Fenster und Türen sowie verschlossene Stadttore. Viele riefen auch die Zeit aus und mussten im Winter die Brunnen vor dem Einfrieren bewahren.
Für die 1000-jährige Stadt Tangermünde lässt sich die Nachtwächtertätigkeit seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisen. Ältere Unterlagen sind beim großen Stadtbrand von 1617 vernichtet worden. Die noch vorhandene Akte im Tangermünder Stadtarchiv beschreibt auf 259 Seiten in deutscher Handschrift die Aufgaben, aber auch die Probleme der Nachtwächter in Tangermünde über einen Zeitraum von 56 Jahren, nämlich von 1832 bis 1888.
Die Kommunal- und Polizeiverwaltung war für die Nachtwächter zuständig. Ihr Domizil hatten die Tangermünder in der damaligen so genannten Marktmeisterei, ein zweigeschossiger Fachwerkbau, der mit der Traufe an der Kirchstraße stand, direkt neben dem Rathaus. Im Jahre 1852 wurde das Gebäude, vermutlich wegen Baufälligkeit, abgerissen.
Die Abhandlungen über die Tangermünder Nachtwächtertätigkeiten in der Stadtarchivakte sprechen von zwei Instruktionen, eine aus dem Jahr 1835, die andere von 1875. Darin sind die Aufgaben und Pflichten der Nachtwächter detailliert beschrieben. In der Instruktion von 1835 ist zu lesen, dass es erst drei Nachtwächterbezirke in der Stadt gab, nämlich den Bezirk Stadt, umgeben von der Stadtmauer, die Neustadt vor dem Neustädter Tor und den Bezirk Hühnerdorf, also den Bereich unterhalb der Burg. Diese Einteilung wurde im Jahr 1854 in nur noch zwei Bezirke geändert und in der Instruktion von 1875 genau beschrieben. Damit gab es nur noch einen nördlichen und einen südlichen Nachtwächter-Bezirk, wobei die Grenze die Stadtmitte, von der Marktstraße über den Markt zur Notpforte, war. Auch wenn es nun nur noch zwei Bezirke gab, blieben die drei bei der Stadt angestellten Wächter in Lohn und Brot, ist der Akte zu entnehmen. Ihr Dienst begann um 22 Uhr und dauerte in den Monaten Dezember, Januar und Februar bis 5 Uhr morgens. In den Monaten März, April, Mai, August, September und Oktober bis 4 Uhr früh und in den Monaten Juni und Juli nur noch bis 3 Uhr. Außer im Juni und Juli blieb ein Nachtwächter noch zusätzlich eine Stunde länger im Wachlokal, um das Rathaus zu bewachen. Pünktlich um 22 Uhr hatten sich die Drei ins Wachlokal zu begeben, welches sich, wie erwähnt, in der Marktmeisterei befand. Zwei Wächter versahen dann ihren Dienst im jeweiligen Bezirk, der dritte verblieb im Wachlokal und hatte dort unter anderem das Rostfeuer zu betreuen. Eine Runde durch den Bezirk dauerte eine Stunde, dann wurde gewechselt. Auf den Rundgängen durch die Stadt hatten die Nachtwächter vor allem für Ruhe und Ordnung zu sorgen, aber auch die Uhrzeit auszurufen. 22 Ausrufstellen gab es in Tangermünde. Das war deswegen so festgelegt, weil die Nachtwächter damit immer unter Kontrolle standen, also die Nacht nicht irgendwo schlafend verbringen konnten. Die Stundenanzeige erfolgte durch Pfeifen und dem jeweiligen Stundenausruf. Bis Mitternacht wurde um 22 Uhr einmal, um 23 Uhr zweimal und um 24 Uhr dreimal kurz gepfiffen und dann gerufen: „Liebe Leute, lasst euch sagen, die Uhr hat eben … geschlagen.“ Danach wurde noch ein langer Pfeifton abgegeben. Nach Mitternacht wurde zuerst einmalig ein langes Pfeifsignal gegeben, dann die Stunde ausgerufen und erst danach um 1 Uhr einmal, um 2 Uhr zweimal, um 3 Uhr dreimal und um 4 Uhr viermal kurz gepfiffen. So wusste jeder noch wache Mensch, wie spät es ist, darunter aber auch die „Lichtscheuen“, die ihre Aktivitäten darauf einstellten.
Die Stundenanzeige übernahm bald die Kirchenuhr, so dass sich die Nachtwächter bei ihren Rundgängen mehr um die verschlossenen Haus-und Hoftüren kümmerten, sowie um Personen, die nachts noch unterwegs waren. Die sprachen sie an und bei verdächtigem Verhalten kamen sie ins Polizeigefängnis, das sich damals auch in der Marktmeisterei, vermutlich im Keller, befand. Auch Betrunkene und Lärmende kamen dorthin, wenn sie nicht nach Hause gingen. Die Tangermünder hatten im Winter auch die Brunnen, von denen es um 1850 in der Stadt noch viele gab, vor dem Zufrieren zu bewahren. Später mussten die Wächter auch die Stadtlaternen entzünden und morgens wieder löschen. Ihre allerwichtigste Aufgabe war aber die des „Feuer meldenden Ortspolizisten“, heißt es in der Akte. Dazu hatte er ein Signalhorn, meistens ein Kuhhorn. Bei Feueralarm musste er kräftig in das Horn blasen und die Anwohner am Brandherd wecken. Der andere Nachtwächter hatte die Warnung schnell weiter zu geben, und derjenige, der am nächsten der Kirche war, hatte den Küster zu wecken, damit dieser die Alarmglocke läutete.
Das Einkommen eines Nachtwächters war nicht nur in Tangermünde gering, trotz seiner wichtigen Aufgaben. Sie gehörten immer zur untersten „Schicht“ der Bevölkerung. Aus den Unterlagen im Stadtarchiv geht hervor, dass ständig eine Gehaltserhöhung beim damaligen Magistrat beantragt wurde, aber wohl ohne Erfolg, denn im damaligen Amtsblatt der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts, standen ständig Ausschreibungen für die freien Stellen. Ab 1879 wurden dann Kriegsveteranen für diese Arbeit gesucht.
Regine Schönberg vom Tangermünder Tourismusbüro wertet jetzt das Image des Nachtwächters wieder auf. Sie bietet schon seit einiger Zeit in zünftiger Bekleidung und „Bewaffnung“ nächtliche Rundgänge durch Tangermünde an. Dabei berichtet sie über die Verhaltensregeln und Arbeitsweise dieses uralten Berufsstandes, der vielen Menschen sicher kaum noch in Erinnerung ist.
Von Günther Krach