Die Schmierereien sprechen eine klare Sprache, mehr oder weniger. Hammer und Sichel ist das wohl bekanntestes Symbol des Marxismus-Leninismus, einst prangte es auf der Fahne der Sowjetunion. Vereinzelt wird dieser Tage in Stendal mit Farbe auch Lenin gehuldigt und zum Klassenkampf aufgerufen. Das Akronym A.C.A.B. ist beileibe nicht nur an Stromkästen zu finden. Es bedeutet so viel wie „Alle Polizisten sind Bastarde“, eine Parole, die nicht zuletzt verschiedenste Subkulturen verwenden. Eine besonders fragwürdige Schmiererei war bis vor Kurzem nahe dem Dom zu sehen. Offenbar sollte dort dem sächsischen Polizeidirektor Dirk Münster, ob seines harten Vorgehens gegen Linksextremisten ein Feindbild in der Szene, der Tod gewünscht werden.
Besonders ins Auge stechen seit Mitte November drei Zahlen, zusammen etwa sieben mal fünf Meter groß, an einer Fassade an der Bahnhofstraße. Die Zahlenkombination 161 steht für „Antifaschistische Aktion“ (Antifa). Schon allein diese Tat hat laut Polizei einen Schaden von bis zu 10.000 Euro verursacht. Wie viele Schmierereien im Laufe dieses Jahres insgesamt im Stadtbild aufgetaucht sind, lässt sich offenkundig nicht genau sagen. Einige Dutzend an prägnanten Stellen dürften es mit Sicherheit sein, einige sind inzwischen übermalt. Eine einzige Serie und gezielte Botschaften einer Gruppe sehen die Ermittler in den Schmierereien offenbar nicht. „Es gibt bisher keine Erkenntnisse, dass hier konzertierte Aktionen stattgefunden haben“, lässt eine PI-Sprecherin wissen.
Es sei eher von Einzeltätern auszugehen. Was die Sache nicht einfacher machen dürfte. Der Staatsschutz ermittle wegen Sachbeschädigung durch Graffiti. Als verfassungsfeindlich eingestuft sind die aufgezeigten Parolen und Symbole nicht. Wobei Zahlencodes wie die 161 in der linksradikalen und autonomen Szene eh selten scheinen. Das populäre Anarchisten-A prangt hier und da in der Kreisstadt, scheint aber oftmals älteren Datums zu sein. So oder so, Delikte der vergangenen Wochen und Monate werden als Sachbeschädigung erfasst und bearbeitet. Es drohen eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Eigentümer und Objektverantwortliche haben laut Polizei Anzeige erstattet. „Die Ermittlungen laufen und die gesicherten Spuren werden derzeitig ausgewertet.“
Dass sich Stendal zu einer Hochburg für Linksradikale und Autonome entwickelt oder bereits entwickelt hat, davon geht die Polizei derzeit nicht aus. In der Tat: Eine regelrechte Szene existiert eher in Salzwedel, diese gilt gemeinhin als libertär. Die autoritären Spielarten sind eher für Magdeburg und Burg bekannt, der Verfassungsschutz weiß ein Lied davon zu singen. Das politische Klima im Landkreis Stendal hatte sich zuletzt aufgeheizt. Dass die Diskussionen um die Waldbesetzung bei Losse durch Umweltaktivisten auf die Kreisstadt abgefärbt haben, kann die Polizei derzeit nicht erkennen. Demonstrationen linksradikaler und autonomer Gruppen in Stendal und Seehausen dieses Jahr hatten auch die Antifa-Arbeit und den Schulterschluss gegen die AfD beschworen.
Hinzu kommt Corona. Kürzlich wurde das Büro der Partei Die Basis, die staatlichen Pandemiemaßnahmen mindestens kritisch gegenübersteht, beschmiert. Ein Zusammenhang mit den anderen Sprühattacken können die Ermittler momentan nicht ausmachen. Im Stadtbild noch allgegenwärtig ist die Serie „Fick die Kripo“. Für Anfang 2022 ist die Gerichtsverhandlung angekündigt. Diese Schmierereien ebbten irgendwann ab, andere nahmen zu. Zuletzt meldete die Polizei auch wieder vermehrt Hakenkreuze in der Stadt. Und: Die linke Agenda an Hauswänden hat den Stadtrat erreicht. Die AfD wollte die Linkspartei offenbar als möglichen Gesinnungsgenossen der Täter vorführen. Auf „vermeintliche linksradikale Rechtsvergehen“ habe man keinen Einfluss, konterte ein Vertreter.
Vonseiten der PI heißt es aktuell noch: „Während der Streifenfahrten achten die Polizeibeamten auf jede Art der Straftatenbegehungen. Sie sind sensibilisiert und achten bei den Streifentätigkeiten auf Vorkommnisse, die im Zusammenhang mit den Taten stehen könnten.“
Kommentar von AZ-Redakteur Marco Hertzfeld
Graffiti seit zig Jahren - Neue Strategie extrem wichtig:
Extremismus ist der Arbeitsnachweis des Verfassungsschutzes, schon so mancher Wissenschaftler tut sich mit diesem Wort schwer. Radikalismus kann für die Täter verschiedenster Couleur auch ein Stück weit Romantik bedeuten. Letztendlich handelt es sich um Kampfbegriffe und Schubladen, die der einfachen Polizeistreife auf der Straße nicht sonderlich helfen dürften. Und den Hauseigentümern und Bürgern schon gar nicht, sie haben Ärger und Kosten. Dass sich nun schon seit Jahren die unterschiedlichsten Schmierfinken in dieser so geschichtsträchtigen Stadt austoben können, historische und moderne Fassaden angreifen, stellt ein Armutszeugnis dar. Es bedarf ganz offensichtlich einer veränderten Strategie. Und dafür sollten Politik und Verwaltung mit an den Tisch.