„Trotz umfangreicher Konsolidierungsmaßnahmen können auf absehbarer Zeit keine positiven Jahresergebnisse ausgewiesen werden“, heißt es in letztgenanntem Papier aus der Kämmerei. Und: „Die dauernde Leistungsfähigkeit des Landkreises ist weggefallen. Dem Willen des Gesetzgebers kann der Landkreis unter diesen Rahmenbedingungen nicht gerecht werden.“ Die Rede ist auch von „Ausweglosigkeit“ und einer „Pflicht“, dennoch an den bisherigen Bemühungen festzuhalten. Ziel sei es, den finanziellen Schaden zu begrenzen. So führe jede neue Verschuldung durch die gestiegenen Zinsen zu weiteren Schulden, die „durch nächste Generationen teuer zurückgezahlt“ werden müssten.
Politik und Verwaltung müssen nicht lange nach Erklärungen suchen: Coronapandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise und Preissteigerungen durch hohe Inflation. Der Landkreis kämpft mit steigenden Ausgaben nicht zuletzt in den Bereichen Sach- und Dienstleistungen, Personal, Jugend, ÖPNV und Kosten der Unterkunft (Sozialhilfe). Die Gewerkschaften fordern für 2023 wegen der besagten Umbrüche 10,5 Prozent mehr Gehalt, schon die Tarifsteigerungen vergangener Jahre führten zu Mehrausgaben von 5,2 Millionen Euro. Eine weitere konkrete Zahl: Kosten für Schülerbeförderung und ÖPNV fallen allein für 2023 um 2,9 Millionen Euro höher aus als im Vorjahr angenommen.
Stendals Landrat Patrick Puhlmann (SPD) hat im Juni 2021 eine Arbeitsgruppe „Haushaltskonsolidierung“ unter der Leitung seines Vizes Sebastian Stoll (CDU) bilden lassen. Eine erste spürbare Maßnahme für den Bürger ist die Erhöhung der Gebühren für die Kreisvolkshochschule (die AZ berichtete). Auch in anderen Bereichen kann es in absehbarer Zeit höhere Gebühren geben. 2025 will der Landkreis Stendal das Objekt „Jenny Marx“ verkauft haben, fast 3,4 Millionen Euro soll das bringen. Eine Fachstelle Sucht- und Drogenberatung wird nicht eingerichtet. Die Sportförderung wird gekürzt sowie anderes mehr. Und: Die Kreisumlage der Gemeinden steigt bekanntlich, der Hebesatz für 2023 soll demnach bei satten 48 Prozent liegen.
Eckdaten Haushaltsentwurf 2023:
Ergebnisplan:
Erträge rund 199 Millionen Euro
Aufwendungen rund 217 Millionen Euro
Finanzplan:
Einzahlungen rund 192 Millionen Euro
Auszahlungen rund 208 Millionen Euro
(laufende Verwaltungstätigkeit)
Kreditaufnahme: rund dreieinhalb Millionen Euro
Kommentar
Von AZ-Redakteur Marco Hertzfeld
System unter Druck: Ohnmacht stärkt Demokratiefeinde:
Krankheiten und Kriege dieser Welt schlagen sich im Kleinen nieder. Wer das bisher nicht glauben wollte, darf die Kämmerei durchaus als Kronzeugin verstehen. Der Landkreis Stendal steht wie viele kommunale Familien vor dem Abgrund. Jedes Unternehmen hätte längst Insolvenz anmelden müssen. Nun können kreisfreie Städte und Landkreise nicht wirklich Pleite gehen, doch Spuren hinterlassen Pandemie, Flüchtlingsstrom und Energiepreiskrise in öffentlichen Haushalten und damit in der Geldbörse des Bürgers allemal. Selbst auf längere Sicht kann der Landkreis Stendal ein Minus im dreistelligen Millionenbereich nicht ohne Weiteres ausgleichen. Mehr denn je sind Gemeindeverbände und Gebietskörperschaften auf Geld von oben angewiesen. Allzu lange sollten Bund und Länder damit nicht warten. Aus einem Gefühl der Krise kann schnell ein Gefühl der Ohnmacht, Verzweiflung und Verachtung wachsen, und das naturgemäß von unten, aus den Regionen heraus. Wer das unterschätzt, spielt mit dem demokratischen Wertesystem.