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Der Verrat: Ein „ganz dicker Fisch“

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Museumsführer Dietrich-Wilhelm Ritzmann (63) fotografierte Grenztruppen-Oberstleutnant Dietmar Mann vor seiner Flucht in die BRD während einer Grenzinspektion in Felddienstuniform. © Zuber

Diesdorf. Das „Swinmark“- Grenzlandmuseum am Rande des kleinen Schnegaer Ortsteils Göhr ist bekannt für seine einmalige Sammlung von rund 500 Foto-Dokumenten des Grenzgeschehens.

Die meisten von ihnen hat Museumsführer Dietrich-Wilhelm Ritzmann vor der Wende per Teleobjektiv von der Westseite aus geschossen. Dabei ging ihm eines Tages unbewusst ein „ganz dicker Fisch“ ins Netz: DDR-Grenzgruppen-Oberstleutnant Dietmar Mann. Der Offizier, zuständig für den Grenzabschnitt von Schmölau bis Bergen / Dumme, der schon kurze Zeit später als einer der hochkarätigsten DDR-Grenzflüchtlinge für Schlagzeilen sorgen sollte.

Ritzmanns Kamera-Auslöser klickte, als sich der Bataillonskommandeur in Felddienstuniform gerade mit anderen Soldaten am Grenzzaun beriet. Auch Jahre später sollte ausgerechnet dieses Foto für Wirbel sorgen.

Eine dramatische Szene nach der Wende ist Ritzmann in Erinnerung geblieben: Eine emotional sichtlich aufgebrachte Frau betrat die Museumsräume in Göhr, wandte sich spontan an den 63-jährigen Museumsführer und sagte: „Mein Name ist Mann – wo ist mein Mann?“ Als Ritzmann ihr das Farbfoto aus seiner Sammlung zeigte, musste Marlies Mann all den Druck ablassen, den die einstige Ehefrau des Ende August 1986 bei Holzhausen über die DDR-Grenze geflüchteten Bataillonskommandeurs Dietmar Mann seit Jahren angestaut hatte.

31. August 1986: Bataillonskommandeur Dietmar Mann, damals 38 Jahre alt, wohnt mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern in einem Offizierswohnblock in Diesdorf. Gegen Mittag meldet er sich in Felddienstuniform bei seiner Frau zum Pilzesammeln in seinen Grenzabschnitt zwischen Schmölau und Wiewohl ab. Dietmar Mann hat an jenem Tag keinen Dienst, lässt sich jedoch von einem Soldaten im Geländewagen bis zu einem Tor des ersten Grenzzaunes fahren. Plötzlich bedroht der Offizier seinen Fahrer mit einer Makarow-Pistole, entwaffnet den Grenzsoldaten und fährt auf dem Kolonnenweg weiter zum zweiten Grenzzaun, den er schließlich überklettert. Bevor er gegen 15.35 Uhr westdeutschen Boden betritt, legt er alle Waffen nieder. In der Bundesrepublik wird Mann als einer der ranghöchsten geflüchteten DDR-Offiziere vom BND und dem amerikanischen Geheimdienst CIA verhört. Den Verrat von DDR-Geheimnissen ließ er sich offenbar per Honorar bezahlen. Der BND besorgt seinem Star-Überläufer Wohnungen in München, Starnberg und Garmisch und auch eine Anstellung bei einer Security-Firma. Besonders prekär: Dietmar Mann war nicht nur Kommandeur des 3. Bataillons beim Grenzregiment 24. Er war zudem Leiter einer Planungsgruppe, die Richtlinien für den geheimen Grundsatzbefehl „Dienstvorschrift (DV) 18/8“ zur Grenzsicherung mit Schusswaffengebrauch ausarbeiten sollte. Im Koblenzer Verlag Bernard & Graefe erschien sogar ein Buch, an dem Mann mitgearbeitet hat. Inhalt des Buches ist unter anderem die Darstellung des verstärkten Einflusses des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bei den Grenztruppen. Der Überläufer berichtete vom geheimen Befehl 36/86, der den verstärkten Einsatz von freiwilligen Helfern der Grenztruppen anordnete. Diese sollten als Erntehelfer oder Bauarbeiter nach Personen forschen, die Fluchtvorbereitungen treffen.

Während seines kurzen Aufenthalts im Westen wurde Mann schnell zum Spielball von Stasi und BND. Gleichzeitig machte seine Familie in Diesdorf die Hölle durch. „Unsere Wohnung war komplett von der Stasi verwanzt“, berichtet Marlies Mann der AZ. Bis heute hat sie sich nicht ganz von dem Schock und der „größten Enttäuschung ihres Lebens“ erholt. „Ich bin eigentlich immer noch nicht ganz fertig damit und möchte gar nicht wissen, wer alles in die Sache verstickt war“, sagt die Diesdorferin.

Zu einem makabren Showdown kommt es noch einmal auf der Müssinger Höhe bei Wiewohl, wie sich Museumsführer Dietrich-Wilhelm Ritzmann erinnert: Der BND steckte seinen Überläufer prahlend in die Uniform eines Oberstleutnants und ließ ihn genau an jener strategischen Stelle auflaufen, an der – wie alle wussten – es von DDR-Grenzaufklärern nur so wimmelte. Dietmar Mann spielte für Presse und ZDF-Fernsehen diese Rolle mit Stiefelhose und Sonnenbrille.

Doch jener Erfolg währte nicht lange, denn nach seiner Flucht hält es Mann nicht lange im Westen. Der Stasi gelingt es, den einsam auf dem Trockenen sitzenden Flüchtling mittels einer ausgeklügelten Erpressung zur Rückkehr zu bewegen: Seine Freundin, so drohte das MfS, würde für Jahre im Gefängnis verschwinden. Dietmar Mann gab schließlich nach. In der Nacht zum 11. April 1987 fuhr er in seinem Ford Capri von München nach Hof. Kurze Zeit später wurde er über die Grenze wieder in die DDR geschleust.

Eine Doppelagentschaft traut Marlies Mann ihm nicht zu. Dennoch lässt die Stasi Manns Überlauf-Aktion genau so aussehen, um dem BND die Wertlosigkeit der von ihm übermittelten Geheimnisse über die DDR-Grenztruppen vor Augen zu führen. Das „Neue Deutschland“ vermeldet am 15. April 1987 stolz Manns Rückkehr auf „eigenen Entschluss“. Zugleich habe dieser „umfangreiche Unterlagen“ in die DDR mitgebracht. Der Knackpunkt: Dies alles wird ganz offensichtlich erfunden, um den BND nicht triumphieren zu lassen. Zu diesem Trick der Stasi gehörte auch, dass der Hochverräter nicht sofort standrechtlich erschossen oder eingesperrt wurde. Dennoch verfrachtete das MfS den Ex-Oberstleutnant vorsorglich ans östliche Ende der Republik. Zwar wird Dietmar Mann in Schwedt mit einem Posten als Leiter des Fuhrparks beim VEB Rohtabak eingegliedert und lernt im Juli 1987 eine neue Frau kennen, doch kurze Zeit später wird er von der Stasi verhaftet. Es folgten sieben Monate Einzelhaft und Psycho-Verhöre. Im September 1988 verurteilte ihn das Militärgericht in Berlin wegen Spionage und Fahnenflucht. Doch die vier Jahre Haft brauchte Mann nie abzusitzen. Er kam nach der Urteilsverkündung auf freien Fuß.

Unter dem Mädchennamen seiner zweiten Frau lebte Mann nach der Wende arbeitslos bei Magdeburg. Heute wird er in Asien vermutet.

Von Kai Zuber

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